Dienstag, 1. Dezember 2015

"Hidschab!" - "Gesundheit!": Die Kopftuchdebatte lebt noch

Es rauschert im Blätterwald. Die Kopftuchthematisierung wäre zwar „Pseudopolitik“, dennoch kann Hans Rauscher nicht unerwähnt lassen, dass diese Tracht in „vielen Fällen ein Zeichen für Rückständigkeit“ wäre – wenn muslimisch (oder großmütterlich).
Die Kopftuchdebatte! Ja, sie lebt noch. Angeblich ist der Wiener VP-Obmann Gernot Blümel schuld.
Als wären es die Kleidungsstücke, die religiös wären/machten. Ihre Eigenschaften verändern sich zwar mit unseren Ansichten über sie – allerdings nur subjektiv. Wie kann man aber jene Fälle von Rückständigkeit augenscheinlich von anderen unterscheiden, ergo ihre Anzahl feststellen/beweisen?

Das ist das Problem mit politischen/religiösen Symbolen: Sie sind unbeständig und lassen sich für alles instrumentalisieren. Deshalb sollte der Fokus nicht auf ihnen, sondern auf tatsächlichen Handlungen liegen. Eigentlich eh klar.
Aber: Ein Habenichts, der ein Hakenkreuz an die Wand schmiert, wird schneller bestraft, als ein Parlamentarier, der faschistisches Gedankengut medial verbreitet. Warum? Weil der Habenichts ein bekanntes Symbol benützt. Der Parlamentarier hingegen die faschistische Symbolig meidet, auch wenn beide Propaganda für den selben braunen Dreck machen. Symbole dienen immer nur dem Anschein. Wer sie bekämpft, bekämpft nicht mehr.

Sexismus und andere Menschlichkeiten

Natürlich bedeutet die Teil- und Ganzkörperverhüllung von Muslimas eine sexistische Kennzeichnung(spflicht). Für die einen ist sie Gruppenzwang, für die anderen auch politisches Statement.
Kann ich verstehen. Auch wenn ich aus der Kirche ausgetreten bin: Würden aufgeblähte Pseudointellektuelle in diversen Medien christliche Symbole verteufeln, würde ich mir das größte Kruzifix suchen, das ich mir um den Hals hängen kann. Als politisches Statement meines Widerstandes, meiner oder der Freiheit anderer (einige meiner besten Freunde_innen sind gläubige Christen).

Das ist genausowenig rückständig wie die Motivation, sich der Kleidung seiner sozialen Gruppe anzupassen. Bei den einen ist es die Hidschab, bei den anderen sind's hochhackige Schuhe, bei manchen Muslimas auch beides. Stöckelschuhe werden nicht getragen, weil sie bequem oder gesund für die Füße wären. Das sexistische Kennzeichnungspflichtgefühl herrscht überall: „Echte“ Frauen und „echte“ Männer tragen gewisse Frisuren. Auch die Queergemeinschaft, die das ablehnt, benützt teilweise eine ihren Genderliberalismus kennzeichnende Mode. Das ist menschlich.

Multikulti braucht keine Revolution

Das könnte man abstellen, indem man die Kulturrevolution ausruft und eine maoistische Diktatur installiert (obwohl auch unter deren Uniformierungszwang Männer selten geflochtene Zöpfe trugen). Will man das? Nein?! Wir müssten schließlich unsere „westlichen Werte“ verteidigen! Also die Religionsfreiheit, außer für die bösen Muslime vemutlich. Und den Pluralismus, solange der ja nicht zum bösen Multikulti führt. Denn wenn die Muslime unsere aufklärerischen Freiheiten genießen und wie wir beim Chinesen Sushi essen dürften, würden sie bestimmt radikalisiert... so wie in der kemalistischen Türkei... oder wie?

Moderne Wechselwirkung statt Rückständigkeit

Die muslimische Kopftuchtragerei wechselwirkt mit der „christlichen“ Debatte über sie. Die aktuellen muslimischen Moden sind genauso modern wie die christlichen Weihnachtstraditionen. Das Christkind, wegen dem sich Amerikaner_innen (teilweise auch schon Europäer_innen) um die billigsten Schnäppchen prügeln, war ursprünglich nicht vorgesehen. Genausowenig wie Burka, Prediger-Bart oder Musikächtung im Islamismus.

Die Symbolträchtigkeit der Kopftuchtrachtigkeit wurzelt nicht in der Vergangengheit, hat nichts mit Mohammed oder Rückstand zu tun. Sie ist genauso wie diese Debatte ein Produkt unserer Zeit, der Welt wie sie heute ist.
Und in dieser Welt haben wir viele Probleme. Was aber die Muslima von heute am Kopf trägt, gehört nicht dazu. Radikalisierung der weltweit wachsenden Zahl der Armen schon. Die demokratischen Wohlstandsgesellschaften wollen sich mitradikalisieren?

Säkular is Muss

Vielleicht liegt darin aber die (Los-)Lösung für den Säkularismus. Wenn Religionen – und zwar alle – ihren ursprünglichen Definitionen widersprechen, muss sie der Staat dann noch anerkennen? Das Grundrecht ihrer Mitglieder auf freie Ausübung könnte dadurch erlöschen. Wir könnten endlich alle kriminalisieren, die die Lehren ihrer Religionsstifter pervertieren; und zwar wegen gewerbsmäßigem Betrug. Ja, sicher! Und ich würde mich nicht mehr verblöden lassen, über Kopftücher zu schreiben.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Schreib dich aus