Montag, 12. Oktober 2015

#Wienwahl 2015: Warnschuss vor den Bug

Der Mittelfinger des blauen Eisbergs

Ja, ich weiß, Wien hat gewählt! War dabei und erlebte erstmals, dass sich eine Schlange vor den Wahlkabinen bildete.
Das war im rot-grün dominierten Mariahilf. Könnte man gleich interpretieren, dass die alle Angst vor der FPÖ hatten. Duellwahl!? Pro oder contra Flüchtlinge ist gleich Häupl gegen Strache?

Würden wir es uns so einfach mit der Wahl-Analyse machen, kämen wir bei der nächsten Wahl nicht nur mit einem fetten, blauen Auge davon. Die Angst vor Asyl und „Überfremdung“ ist nur der Mittelfinger des blauen Eisbergs, der aus dem Meer der Wähler_innenstimmen herauswackelt. Ein knapper Schuss vor dem Bug.

Das breite Grinsen aller

Trotzdem sind – wie das Klassenfoto zeigt – eh alle Spitzenkandidat_innen zufrieden. Meinl-Reisinger (die Neuen) grinst, weil sie dabei sein darf. Vassilakou grinst (FuZo- und Flüchtlingspartei), obwohl sie versprach, zurück zu treten. Häupl (Wien itself) sieht aus wie ein triumphierender Winston Churchill vor dem zerbombten London. Strache (Flunker-Partei Österreich) grinst sowieso und ganz genauso wie er es vor dem Spiegel jahrelang geübt hat. Außerdem hatte er erneut Glück: Er kann einen Zugewinn abfeiern und muss trotzdem nicht arbeiten gehen. Und Juraczka (Villenverein Penzing) schaut immer so drein. Das Reverse-Grienen liegt im ÖVP-Trend, aber er hat's erfunden. Endlich ist er diesen undankbaren Job los.

Warum nicht die ÖVP?

Wenn ich eine Reichenpartei wollte, die Flüchtlinge im Stich lässt, sobald es der aufgebrachte Pöbel fordert, würde ich die ÖVP wählen. Die hat wenigstens auch andere Kompetenzen. Vielleicht eben gerade nicht im Marketing, weshalb sie verlor. Die Wahl ist eben kein vernunftgesteuertes Ereignis, was in einer Demokratie ziemlich fekal ist.  

Warum die FPÖ?

Es genügt es nicht, zu sagen, die FPÖ-Wähler_innen wären halt deppert. Stimmt, die meisten sind es, aber nur weil's Menschen sind – eine grundsätzlich depperte Spezies. Das bleibt ein universales Problem.

Auch wenn HC „Ehsoterrisch“ Strache im Grunde ein neoliberaler Klimawandelleugner ist, sitzen seine Wähler_innen im Schatten klotziger Gemeindebauten, gegenüber feinverstaubter Straßen voller Wettcafés und statten auf die Probleme der Welt außerhalb ihrer Häuserschluchten. Die Welt ist korrupt. Wo sind meine Perspektiven für die Zukunft, wenn das Leid für alle zunimmt, die genauso am unteren Ende der Geldkette stehen wie ich? Krieg und Katastrophen überall und dann werden auch noch die Zigaretten teuerer.

Und dann kommen auch noch die Flüchtlings-“Massen“. Mit denen hat man zwar persönlich keinen Kontakt, aber genausowenig hat der Wiener Gemeinderat Einfluss auf die Flüchtlingspolitik Europas – die Angst, die allumfassende, nimmt dennoch zu und ihren erwarteten Einfluss auf die Wahlen.

Fehlende oder schlecht verkaufte Alternativen

Wenn die Grünen die Mahü begrünen, ist das recht hübsch, vor allem wenn man selbst einem der Öko-Bobo-Bezirken wohnt. Wenn die Sozialdemokratie Wiens sozialen Wohnbau in der Seestadt Aspern betreibt, hat das auch eine gewisse prestigeträchtige Exotik.
Aber den frustrierten Arbeitslosen, alleinerziehenden Vielzujungmüttern und marginalisierten Einwandererfamilien mit ihren stetig steigenen Lebenskosten  nützt das nichts.

Die FPÖ hat zwar die falsche Antwort, aber wenigstens hat sie eine, die sie verkaufen kann. Die anderen Parteien haben vor allem die FPÖ als Feindbild, ansonsten nicht ansprechende Floskeln und selbst die sind schlecht vermarktet. Entweder es fehlen „Inhalte“ (gerade bei denen, die von „Inhalten“ reden, aber selten über sie) oder es fehlt an Propaganda außerhalb der eigenen Komfortzone (ich sehe euch an, meine Grünen!). Das muss sich ändern!
 

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