Mittwoch, 11. März 2015

Sabotierte Schulreform: Österreichs Sesselfurzer-Politik

Es gibt österreichische Eigenarten, die machen mich dankbar für die “Freizügigkeit” in der EU. Manchmal will ich einfach nur weg. Die notwendige, aber bisher vermurkste Bildungsreform und Debatte um sie sind symptomatisch für das Krankhafte in diesem Fleckerlteppich-Staat: Die Verwirrung einer willenschwachen Kompromiss-Politik mit den kleinlichen Ideologien sich einmischender Interessensgruppen – dazwischen Expertise mit widersprüchlichen Ergebnissen.

Die englische Schule

Ende Jänner dieses Jahres hatte ich Gelegenheit, eine Grundschule in Plymouth, in der südwestenglischen Grafschaft Devon zu besuchen. Meine Freundin und ich wurden von der Direktorin empfangen, wir unterhielten uns mit ihr, dann durften wir uns alle Klassenräume ansehen – während der Unterrichtszeit.
In jeder Klasse befasste sich ein_e Lehrer_in mit einem Teil der stets freundlichen, vielfach beschäftigten und verhältnismäßig ruhigen Schüler_innen. Ein_e Unterrichtsassistent_in arbeitete mit dem jeweils anderen Teil. Die Unterrichtsräume wirkten offen und dynamisch.

Auch der Umstand, dass die Pilgrim Primary School gerade modernisiert wurde (Der Bereich mit dem Rollstuhlift war zum Glück bereits fertig), ließ nicht erahnen, dass wir uns angeblich im Migranten- und Problembezirk der Stadt befanden.
Über 30 verschiedene Muttersprachen würden an ihrer Schule gesprochen, erklärte Head Teacher Mrs. Jones. Man habe Erfahrung und Erfolg im Umgang mit den “Bedürfnissen” dieser Kinder.

Der Erfolg hat sicher mit dem Engagement ihrer Lerher_innen und der möglichst ausgereizten Autonimie ihrer Schule zu tun. Gewiss aber auch, weil das englische Schulsystem und die grundsätzlich globalere Denkweise der Brit_innen dies zulässt. Es ist nicht perfekt, genießt jedoch Mindeststandards moderner Pädagogik und manchmal mehr.

Zurück in Österreich

In Österreich hingegen herrschen vor allem Debatten um Schulreformen. Sie hinterlassen öffentlich seit Jahren den selben Eindruck. Ein_e Expert_in widerspricht der/dem anderen bis wer weiß wann. Mit Ausnahme jener, die wirklich Ahnung haben, aber auf die wird anscheinend nicht gehört. Während die Parteiknechte unter ihnen um die Details von Floskeln streiten – nicht ohne Ahnung, aber auch mit politischem Egoismus.

Die involvierten Institutionen und ihre Entscheidungsträger_innen sind proporz-gefärbt. Es geht zunächst nicht um Bildung oder die Zukunft der Kinder, sondern um eine gewisse Sesselfurzer-Politik. Dabei gilt lediglich: Wie profitiert mein eigner Büro-Hintern von einer Reform oder könnte diese mich selbigen kosten?

Politische Grabenkämpfe


Manchmal geht es auch um Gehälter. Oder um Feindschaften, wie letztens der recht unsachliche Standard-Kommentar von Bifie-Direktor Günter Haider offenbarte – immer noch sauer wegen den Konsequenzen nach dem Zentralmatura-Fiasko? Oder seiner eigenen Versetzung? Jetzt fordert er seinerseits Köpfe.

Nach all den politischen Grabenkämpfen wurde jedenfalls ein wenig herumreformiert, schrittweise; genug um die Einen ausreichend zu befriedigen, die Anderen nicht zu sehr zu verärgern. Heraus kommt ein typisch österreichischer Kompromiss-Murks (siehe Giftqualmregelungen in Lokalen, siehe Steuerreform, siehe österreichische Reformen im Allgemeinen).

Die Neue Mittelschule...

...Hätte ein großer Schritt werden können, wurde aber noch vor Umsetzung und Evaluierung zu einem Stolpern. Man redete die NMS bereits schlecht, als es sie noch gar nicht gab.

Hierbei muss man zwischen gerechtfertigter Kritik und rein politisch-kalkulierten Attacken unterscheiden: Gerechtfertigte Kritik muss aufkommen, weil ausgerechnet jene Demagogen bei der Reform ihren Willen mit-durchsetzten konnten, die immer noch ungerechtfertigt jammern; die von Anfang an jegliche Bemühung um gerecht verteilte Bildungschancen in unserem Land sabotierten.

Vor allem Regierungskoalitionspartner ÖVP und seine ideologischen Fortsätze verkrüpelten so gut sie konnten das Modernisierungswesen der roten Bildungsministerinnen. Nicht überraschend, dass die Neue Mittelschule nie richtig Laufen lernte. Die Mittäter prahlen nun (mehr oder weniger scheinheilig): Wir haben's doch gewusst!

Unmögliche Evaluierung eines untoten Konzeptes


Die Entscheidungsfreiheit von Schulen, Lehrkörpern und Eltern bei den Schulversuchen bis Herbst 2012 sorgte dafür, dass die NMS nicht an allen Standorten vollständig umgesetzt wurde. Die bereits bestehende Schulautonomie gestattet, dass der Lehrplan (offiziell AHS-Unterstufe) in den NMS weit häufiger abgeändert wird, als im Gymnasium. An einigen NMS unterrichteten bis 2012 – den Plänen entgegen – ausschließlich Pflichtschullehrer_innen oder die Zusammenarbeit mit den AHS-Lehrer_innen funktioniert nicht. Das alles ergiebt ein typisch österreichisches Wirrwarr; ein hohes Maß an Willkür, wer oder was für welche Mutation der reformierten Schule letztlich verantwortlich ist.

Zu viele Fragen offen

Das lässt viele Fragen offen und ermöglicht keine Evaluierung der NMS als Gesamtkonzept. Denn dieses wurde real nicht angewandt, um zu einer vergleichbaren Qualität (und Quantität) zu führen.

Ein Evaluierungsbericht ist trotzdem oder gerade deshalb schnell erstellt. Da wundert auch nicht mehr, dass dieser Bericht von einem seiner eigenen Direktierenden (siehe Günter Haider) missinterpretiert wird.

Mehr Freiheit für was?


Auch ein Mehr an Schulautonomie, als Lösung der Probleme, erscheint in diesem Zuammenhang fragwürdig. Es sei denn, die angestrebte Kontrollinstanz für die Schulen würde effektiv realisiert werden. Man darf daran zweifeln.

Das ursprüngliche Konzept – zunächst als Vorbereitung, allmählich als Ersatz für die Gesamtschule gedacht – enthält vielversprechende Ideen. Das Problem sind nun zwei österreichische Schwächen vereint zu einer: Mangelnde Durchführung einer halben Sache. Oder einer viertel Sache.

Zeitgemäßer Unterricht als Freiwilligenarbeit?

Um einen modernen Unterricht zu gestalten, darf man dessen Grundformen nicht der Freiwilligkeit des Personals (oder der Eltern) unterwerfen. Das wäre ein falsches Verständnis von Schulautonomie.

Die Freiheit der Lehrenden muss darin bestehen, ihre Tätigkeit den Bedürfnissen der Kinder anpassen zu können. Die Entscheidung, ob diese Tätigkeit fortschrittlichen, pädagogischen Ansprüchen genügen soll oder ob manche Kinder mehr Chancen als andere verdienen, darf ihnen nicht überlassen werden.

Nostalgieprojekt Gymnasium

Das führt zum Gymnasium, dem Prestige- und Nostalgie-Projekt einiger “Konservativen”. In Österreich wird nicht verändert, das einigermaßen funktioniert. Warum man sich nicht erst mit etwas Besseren zufrieden gibt, ist rätselhaft. Beispielsweise könnte man fortschrittliche Aspekte der NMS auch in die AHS integrieren.

Dem anspruchsvolleren Lehrplan muss das nicht schaden. Dieser hätte eigentlich auch an der NMS eingeführt werden sollen, was aber durch die zusätzliche Entscheidungsfreiheit bei der Lehrplanung konterkariert wurde. Es zählt auch weniger die höhe des Anspruchs, den man an Kinder stellt, sondern vielmehr die Form der Vermittlung, die Kunst des Lehrens.

Zu viele unberechenbare Faktoren

Der Vorteil des Gymnasiums liegt nicht unbedingt an den “besser” ausgebildeten Lehrer_innen. Gute Lehrer_innen zu bekommen, ist an allen österreichischen
Schulen eine Frage des Glücks.
Vielmehr sorgt ein “gutes” Elternhaus, das genug Geld für private Nachhilfe hat, für den Ausgleich der Altersschwächen dieser Parallel-Schulform.

Abgesehen davon schützt die Kinder nichts vor all den anderen Faktoren, die sich negativ auf ihren Lernerfolg und vor allem ihre Lernfreude auswirken können. Soziales Umfeld, psychische Probleme, Erfolgsdruck, Mobbing... Die Schule selbst ist oft Katalysator, manchmal auch Auslöser dieser Probleme.

Schutz und Wappnung in der Schule


Dabei kann Schule ein Ort des Schutzes vor und der Wappnung für die Widrigkeiten des Lebens sein. Bei all der Willkür und den Zufällen, denen Kinder beim Lebensstart unterworfen sind, sollte wenigstens die Schule ein Stück Verlässlichkeit repräsentieren.

Schule sollte nicht nur möglichst hohe Bildungsstandards bietet, sondern als Institution einer realdemokratischen Republik auch dessen humanistische Werte vermitteln – darum auch egalitär.

“Verländerung” - Flucht nach Hinten

Dem steht das österreichische Bildungssystem als solches im Weg. Drei verschiedene Schultypen vor dem vierzehnten Lebensjahr: AHS, Hauptschule und Sonderschule, deren Qualitäten von Lokalpolitik, Standorten, einzelnen Leiter_innen und Mitarbeiter_innen abhängen, erzeugt nur noch mehr unnötige Willkür, der man die Kinder aussetzt.

Nun spricht der Schattenkanzler von der falschen Partei bereits von “Verländerung”, will also zu all den qualitätsbildenden- oder zerstörenden Faktoren auch noch die unterschiedlichen Vorstellungen aller neun Bundesländer in das Chaos mengen. Hauptsache Machtbereicherung (“Kompetenzerweiterung”).

Vielfalt als Standard gleicher Chancen

Die NMS in der heutigen Form wurde sabotiert und ist daher unzureichend. Wir brauchen eine gemeinsame Schule, eine “Gesamtschule” oder wenigstens eine neue Neue Mittelschule, die für alle Schüler_innen zugänglch ist; in denen alle Recht und Garantie auf die selben Mindeststandards haben. Das bedeutet auch: Sonderschulen müssen abgeschafft werden, Gymnasien benötigen ein “upgrade”.

Das müsste Schulautonomie und Vielfalt – wenn es richtig gemacht, nicht wieder sabotiert würde – nicht im Weg stehen. Beim fortschrittlichen Unterrichten geht es gerade darum, den Lehrer_innen und Schüler_innen mehr Möglichkeiten und Eigenverantwortung zu geben, das Lernen ihrem Bedarf anzupassen.

Fatale Verwechslung

Dieser Bedarf wird hierzulande oft mit den (vermuteten) Fähigkeiten verwechselt. Deshalb gibt es Sonderschulen, unterschiedliche Leistungsruppen und mittlerweile die Unterscheidung zwischen “grundlegender” und “vertiefter” allgemeiner Bildung.

Schulen benoten


Kinder sollen bereits eine Leistung erbringen, noch ehe sie für diese ausgebildet oder unterstützt wurden. Wenn sie versagen, werden die Ansprüche an sie gesenkt, wenn stattdessen die Ansprüche der Unterrichtsform gehoben und angepasst werden müssten. Vor den Schüler_innen sollten Schulen regelmäßig benotet werden. Die höhere Verantwortung liegt immer bei den Erwachsenen, den Ausgebildeten, den Wissenden – nicht bei den Kindern, egal aus welchem sozialen Umfeld sie stammen mögen. Ansonsten gibt es immer Ausreden für das Imstichlassen von Schüler_innen (oder Lehrer_innen).

Aufgabe der Schulsystems muss es sein, allen Schüler_innen die selben Bildungschancen, das heißt, das selbe Maß an Bildung zukommen zu lassen. Die Wege dorthin, die Methoden und Maßnahmen, die dafür gewählt werden, können variieren. Aber das Ziel muss unmissverständlich und ohne Ausfluchtmöglichkeiten vorgegeben sein. Das Recht unserer aller Kinder auf bestmögliche Bildung muss Standard sein bzw werden. Die manipulative Selektion in Elite und Restmasse mus wenigstens an den Schulen verhindert werden – herrscht ansonsten ohnehin überall.

Mein persönliches Beef mit dem Bifie

Vor vielen Jahren nahm ich an einem Berufs- und Eignungstest des Bifie Salzburg teil. Selbst damals noch bildungsferner Schüler, wusste ich damals noch nicht, dass die dortige Ermittlung des Intelligenz-Quotienten auf pseudowissenschaftlichem Humbug basierte – denn es wurde lediglich der Wissensstand der Kinder ermittelt.
Daraufhin wurden dann Berufsempfehlungen verteilt und Fähigkeiten zugeschrieben. Es kann natürlich auch sein, dass ich tatsächlich den IQ eines Hundes habe. Wuff!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Schreib dich aus