Dienstag, 27. Januar 2015

Voves, Niessl, Kurz: Moralische Integrationsunwilligkeit




Falsche Begriffe, falsche Intention, falsche Moral

Als Franz Voves vorschlug, “mangelnde Integration” als Straftat zu definieren, dachte ich noch: Graz will Villach werden. Als aber sein landefürstlicher Genosse Hans Niessl draufsetzte, als Strafmaß Staatsbürgerschaften entziehen zu wollen, war Schluss mit Fasching. Man macht Witze über Burgenländer. Aber Burgenländer...

Die ÖVP hätte sich ruhig zurück lehnen können, um das erniedrigende politische Herumhuren dieser Sozis am äußerst rechten Wahl-Strich schadenfroh zu genießen. Aber dann kam ihre Nachwuchshoffnung Sebastian Kurz: Strafen für integrationsunwillige Schüler_innen fordernd.

Schmarn aus den Villenvierteln

Zugegeben: Letzterer Gedankenfurz überrascht mich wenig, von einem Neo-Konservierten kommend. Dass aber so genannte Sozialdemokraten, unter dem deckenden Schweigensmantel der Parteiführung, einen solchen Verrat an ihren Prinzipien begehen...
Viktor Adler, der sich für die unterpreviligierten Ärmsten am Rande der Gesellschaft einsetzte, anstatt sie zu kriminalisieren, dreht sich derzeit eifrig im Grab herum. Ich glaube, er überlegt sich, eine neue Partei zu gründen.

Zudem muss man sich den ganzen Schmarn von gepuderten Krawattenträgern aus den Villenvierteln anhören. Während wir Bewohner_innen der Migrantenvierteln wissen, dass Integration nicht das Thema ist. Wir sind alle so weit in den Staat und damit in dessen Gesellschaft integriert, wie dieser das verlangen kann und darf. Kriminalität ist ein anderes Thema.

Rechtsstaatlich wie ein Pogrom

Wir alle arbeiten, zahlen Steuern, kümmern uns um unsere Kinder, halten uns an die Gesetze – wenigstens großteils. Wenn nicht und wenn erwischt, straft uns das Gesetz – Rechtsstaat eben.
Nun fordert man aber ein Gesetz, das alle zu Verbrecher_innen machen würde, die sich aufgrund einer gewissen sozialen Schublade und aus alleiniger Sicht der krawattentragenden Villenbewohner, vielleicht verdächtig machen möglicherweise irgendwann gegen Gesetze zu verstoßen. Das ist so rechtsstaatlich wie ein Pogrom.

Nicht psychopathologisches Profil, Unterweltkontakte oder Drohbotschaften im Internet sollen unsere Gesetzeshüter alarmieren. Man will die ungefähre Verdächtigkeit anhand einer vagen “Integrationswilligkeit” abschätzen und diese Verdächtigkeit dann als solche bestrafen.

Nicht Integration...

Dabei meint man allerdings nicht wirklich “Integration”. Wie auch? Wer in irgendeinem System (über)lebt, ist integriert. Ein Mensch, der hierzulande mit nacktem Arsch zur Arbeit geht, wird alsbald ausgesondert. Vor allem die Feinde von Staat und Demokratie sind stets bestens integriert.
Das was eigentlich gemeint ist, ist Identität bzw. Identifikationswilligkeit. Wobei man von jenen, denen man mangelnde Integration vorwirft, im Grunde verlangen möchte, sich selbst vollkommen als Norm zu identifizieren. Nur nicht auffallen. Und das per Gesetz.

...sondern Identität

Wie sieht eine solche Identität aus? Das weiß niemand. Offiziell heißt es immer: “Die” sollen arbeiten, Steuern zahlen, sich um ihre Kinder kümmern und an die Gesetze halten. Dann gelten sie den Krawattenträgern als eh-brav.
In Wahrheit heißt es aber: Sie sollen nicht als Fremdkörper auffallen. Und sie sollen keine Probleme machen, die wir nicht mit (Staats-)Gewalt lösen können.
Sie sollen nicht ungebildet sein, kein geringes Einkommen, keine familiären oder sprachlichen Probleme haben. Wenn aber doch, soll ihr (kultureller) Habitus keine Herkunftsländer anzeigen, von denen man dies erwarten würde.

Nur die Identität der Migrantischen ist gemeint


Ihre Schwierigkeiten sollen sich nicht in ihrer Identität, nicht in ihren Köpfen wiederfinden. Welche Leben sie auch haben, sie sollen lächeln und rot-weiß-rote Fähnchen schwingen. Wer sich aber mit seiner Lebensrealität identifiziert, was nur menschlich wäre, ein Ventil sucht, einen Fehler macht oder auch einfach nur nicht zum Elternabend erscheint, würde als “integrationsunwillig” gelten; als jemand, der uns Probleme offenbart, für die sich Gesellschaft und Politik nicht verantwortlich fühlen wollen.
Immerhin geht es hier nicht um irgendwelche Identitäten, sondern allein um jene von Migrant_innen oder deren Nachkommen. Die übrige Bevölkerung darf ihre Identität frei entwickeln und auch beim Elternabend fehlen.

Ein Kind der Verantwortungslosigkeit

Wenn Jugendliche aus den Randbezirken der Staats-Gesellschaft sich selbst und andere in Schwierigkeiten bringen, wollen Berufspolitiker wie Voves, Niessl und Kurz auch weiterhin keine Verantwortung übernehmen. Sie wollen die Störenfriede, die das Versagen der Politik offensichtlich machen, per Strafgesetz zum Schweigen bringen, sie verschwinden lassen.
Geldstrafen, Inhaftierung, Staatsbürgerschaftsentzug, Abschiebung: Das sind ihre faschistoiden Wunschmittel. Fremd, arm und migrantische Minderheit zu sein würde so schnell zur Straftat.

Wenn ein Vater seine Tochter nicht zu Schule gehen lassen will, weil er zufällig Taliban ist, solle nicht bloß das Schulpflichtgesetz wirken. Man will aus seinem Vergehen ein noch schlimmeres machen, das – unter dem Titel “Integration” – seine gesamte Identität betrifft. Möglicherweise stellt es auch alle seine Verwandten, der Sippenhaft ähnlich, unter Verdacht. Nicht nur die Tat will man bestrafen, sondern auch deren Motivation!

“Verbrechen” und “Tragödien”

Wie ich im Gratisboulevard “Heute” einst lesen musste, weil ich redaktionell drüber musste: Der Taschendiebstahl eines jungen “Türken” gilt dort als ein schweres Verbrechen. Den Axtmord eines autochthonen Vaters an seiner Familie nennt man eine “Familientragödie”.

Im Rechtsstaat nicht realisierbar


Natürlich kann so eine transösterreichische Schnapsidee, unerwünschte Identitäten staatsgewaltsam zu verfolgen, nicht Realität werden. Beim VGH fühlt man sich jetzt schon von der Legislative dezent verarscht.
Aber allein solche Gedanken, auch wenn oder gerade weil es sich um puren Rechtspopulismus handelt, aus den Mündern amtierender Landeshauptmänner, “Sozialdemokraten”... Unterstützt vom “Integrationsminister”... Das ist ein neuer innenpolitischer Tiefpunkt in Österreich.

Und selbst die Freiheitlichen machen sich über die Bläue dieser Ideen lustig, natürlich ohne zu merken, dass sie damit über sich selbst lachen. Es ist halt doch auch ein Bisserl Fasching.

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