Mittwoch, 28. Januar 2015

Integrations-Deppatte: Persönliches

Feindbild Muslima. Geschichte mit Vorgeschichte

Ein muslimischer Freund erzählte mir von einer Begegnung im U-Bahn-Lift: Da stand eine sichtbar muslimische Familie. Obwohl die junge Mutter nicht einmal eine Hidschab, gerade mal einen Schal um den Kopf drapiert trug. Als eine weitere Frau sich vorbeizwängen musste, verschob sie eigenmächtig den Kinderwagen und schimpfte sinngemäß, dass diese Leute keinen Anstand hätten. Gemeint waren offenbar Muslime, denn migrantisch wirkte sie selbst.
Er meinte, dass er Unfreundlichkeiten dieser Art, vor allem gegenüber muslimischen Frauen, öfter erleben würde. Ich musste zugeben, dass ich in der Öffentlichkeit anscheinend eher auf andere Dinge achten würde.

Eigene Erfahrung folgte sogleich

Doch nur einen Tag später stehte ich wieder im Lift und erlebe den Stress einer anderen jungen Mutter, die nicht warten kann, bis die Lifttür geöffnet und die Menschen vor ihr aus dem Weg gehen können. Während sie doch noch die Schülerinnen - eine von ihnen mit Krücken, die andere mit Hidschab - passiert, meckert sie, jene würden ja kein Deutsch verstehen - in unfreundlichem wie migrantischem Ton. Letzterer passte zu ihrem Äußeren.

Das sind Details. Ich kenne keine Statistiken darüber, wie oft augenscheinliche Muslime wegen ihres Glaubens oder ihrer "morgenländischen" Wirkung angegangen werden; oder ob es sich bei den Fremdenfeindlichen mehrheitlich um andere "Fremde" handelt, als würden diese eine Konkurrenz fürchten.
Ich habe, neben der Schwierigkeit die richtigen Begriffe zu finden, auch eine andere Wahrnehmung solche Begebenheiten.

Mangelnder Anstand

Für mich liegen ihre Gründe zunächst in einem Mangel an Anstand, Höflichkeit und persönlicher Reife der Beleidigenden. Sie sind quasi nicht gut (in die Regeln des gesellschaftlichen Umgangs) "integriert".
Ob sich dazu  grundsätzliche Fremdenfeindlichkeit gesellt, Islamophobie oder die Furcht der einen Unterschicht vor der anderen, kann ich nicht im Spazieren überprüfen. Aber sollte es dem Mitbürger nicht zunächst um die eigentliche Handlung gehen?

Wer diskriminiert wird

Ich erkenne und erlebe also Diskriminierung von Ausländer_innen bestimmer Schubladen. Umgekehrt, als Migrantenviertelbewohner, wurde ich noch nie von einem Migrantischen diskriminiert. Und fremdartig sind mir in der Großstadt sowieso so gut wie alle Mitmenschen.
 
Die Höflichkeit und Achtsamkeit, die mir eindeutig mehrheitlich von Personen mit südländischem und islamkulturellem Äußeren entgegengebracht wird, vor allem, wenn ich in Rollstuhlbegleitung unterwegs bin, ist auffällig. Man könnte argumentieren, dass die kleinste und am meisten angefeindete Minderheit sich besonders bemühen müsse.

Aber all diese Erfahrungen passen allein nicht in die sprachliche Logik der islamhysterischen Öffentlichkeit.

Angefeindete Religion 

Ich sage, Muslime werden angefeindet. Das wird von Öffentlichkeit und Medien nicht diskutiert. Es geht immer darum, was Muslime falsch machen würden, wenn sie nicht staatsbürgerlicher als der Bundespräsident sind. Es wird behauptet, dargestellt und abgeleitet, der hiesige Islam hätte mit dem gesamten nichtislamischen Rest der Bevölkerung ein Problem.

Logische Inkonsequenz

Aber ist es nicht umgekehrt? In Frankreich erschießen zwei Verrückte, den  Namen des Propheten Mohammeds missbrauchend, 12 Menschen. Die Tat wird zunächst nicht, dann aber nach und nach immer mehr dem Islam und der verarmten Jugend der Vorstadt-Ghettos zugeschrieben.

Das ist keine konsequente Logik. Ansonsten müsste man sich wundern, bei Millionen muslimischer Jungmänner mit düsteren Perspektiven, dass es nicht viel mehr islamistische Terroranschläge in Europa gibt. Mit Sturmgewehren in Menschenansammlungen zu ballern, ist keine hohe Kriegskunst.

Politische Inkonsequenz

Die Inkonsequenz geht weiter. Überall gibt es Zugeständnisse an Rechtsstaat, (mehr) Demokratie und Fairness. Die Mehrheit der Muslime sei nicht zu beschuldigen. Im Zuge der Charlie-Hebdo-Solidarität wird sogar gegen Islamfeindlichkeit a la Pegida demonstriert.
In den berufspolitischen Taten aber zeigt sich: Man will mehr Überwachungsstaat als Rechtsstaat. Und die Muslime sind längst wieder unter Generalverdacht gestellt.

Plötzlich wollen österreichische Provinzfürsten "mangelnde Integration" zur (gewiss verfassungswidrigen) Straftat erklären. Ein Blankoscheck für den Rechtspopulismus. Schließlich kann niemand erklären, was damit eigentlich gemeint ist.
Es handelt sich lediglich um einen Code: Die Fremden sind schuld. Und am meisten fremd und in ausreichender Menge vorhanden wirken bei uns die Muslime.

Die anderen sind ja wenigstens irgendwelche Christ_innen. Oder was anderes, das nicht kenne. Mir egal, ich bin ja eh nicht religiös, solange ich mich nicht über andere Religionen aufregen kann.

Die Geschichte wird weitergehen...
   

Dienstag, 27. Januar 2015

Voves, Niessl, Kurz: Moralische Integrationsunwilligkeit




Falsche Begriffe, falsche Intention, falsche Moral

Als Franz Voves vorschlug, “mangelnde Integration” als Straftat zu definieren, dachte ich noch: Graz will Villach werden. Als aber sein landefürstlicher Genosse Hans Niessl draufsetzte, als Strafmaß Staatsbürgerschaften entziehen zu wollen, war Schluss mit Fasching. Man macht Witze über Burgenländer. Aber Burgenländer...

Die ÖVP hätte sich ruhig zurück lehnen können, um das erniedrigende politische Herumhuren dieser Sozis am äußerst rechten Wahl-Strich schadenfroh zu genießen. Aber dann kam ihre Nachwuchshoffnung Sebastian Kurz: Strafen für integrationsunwillige Schüler_innen fordernd.

Schmarn aus den Villenvierteln

Zugegeben: Letzterer Gedankenfurz überrascht mich wenig, von einem Neo-Konservierten kommend. Dass aber so genannte Sozialdemokraten, unter dem deckenden Schweigensmantel der Parteiführung, einen solchen Verrat an ihren Prinzipien begehen...
Viktor Adler, der sich für die unterpreviligierten Ärmsten am Rande der Gesellschaft einsetzte, anstatt sie zu kriminalisieren, dreht sich derzeit eifrig im Grab herum. Ich glaube, er überlegt sich, eine neue Partei zu gründen.

Zudem muss man sich den ganzen Schmarn von gepuderten Krawattenträgern aus den Villenvierteln anhören. Während wir Bewohner_innen der Migrantenvierteln wissen, dass Integration nicht das Thema ist. Wir sind alle so weit in den Staat und damit in dessen Gesellschaft integriert, wie dieser das verlangen kann und darf. Kriminalität ist ein anderes Thema.

Rechtsstaatlich wie ein Pogrom

Wir alle arbeiten, zahlen Steuern, kümmern uns um unsere Kinder, halten uns an die Gesetze – wenigstens großteils. Wenn nicht und wenn erwischt, straft uns das Gesetz – Rechtsstaat eben.
Nun fordert man aber ein Gesetz, das alle zu Verbrecher_innen machen würde, die sich aufgrund einer gewissen sozialen Schublade und aus alleiniger Sicht der krawattentragenden Villenbewohner, vielleicht verdächtig machen möglicherweise irgendwann gegen Gesetze zu verstoßen. Das ist so rechtsstaatlich wie ein Pogrom.

Nicht psychopathologisches Profil, Unterweltkontakte oder Drohbotschaften im Internet sollen unsere Gesetzeshüter alarmieren. Man will die ungefähre Verdächtigkeit anhand einer vagen “Integrationswilligkeit” abschätzen und diese Verdächtigkeit dann als solche bestrafen.

Nicht Integration...

Dabei meint man allerdings nicht wirklich “Integration”. Wie auch? Wer in irgendeinem System (über)lebt, ist integriert. Ein Mensch, der hierzulande mit nacktem Arsch zur Arbeit geht, wird alsbald ausgesondert. Vor allem die Feinde von Staat und Demokratie sind stets bestens integriert.
Das was eigentlich gemeint ist, ist Identität bzw. Identifikationswilligkeit. Wobei man von jenen, denen man mangelnde Integration vorwirft, im Grunde verlangen möchte, sich selbst vollkommen als Norm zu identifizieren. Nur nicht auffallen. Und das per Gesetz.

...sondern Identität

Wie sieht eine solche Identität aus? Das weiß niemand. Offiziell heißt es immer: “Die” sollen arbeiten, Steuern zahlen, sich um ihre Kinder kümmern und an die Gesetze halten. Dann gelten sie den Krawattenträgern als eh-brav.
In Wahrheit heißt es aber: Sie sollen nicht als Fremdkörper auffallen. Und sie sollen keine Probleme machen, die wir nicht mit (Staats-)Gewalt lösen können.
Sie sollen nicht ungebildet sein, kein geringes Einkommen, keine familiären oder sprachlichen Probleme haben. Wenn aber doch, soll ihr (kultureller) Habitus keine Herkunftsländer anzeigen, von denen man dies erwarten würde.

Nur die Identität der Migrantischen ist gemeint


Ihre Schwierigkeiten sollen sich nicht in ihrer Identität, nicht in ihren Köpfen wiederfinden. Welche Leben sie auch haben, sie sollen lächeln und rot-weiß-rote Fähnchen schwingen. Wer sich aber mit seiner Lebensrealität identifiziert, was nur menschlich wäre, ein Ventil sucht, einen Fehler macht oder auch einfach nur nicht zum Elternabend erscheint, würde als “integrationsunwillig” gelten; als jemand, der uns Probleme offenbart, für die sich Gesellschaft und Politik nicht verantwortlich fühlen wollen.
Immerhin geht es hier nicht um irgendwelche Identitäten, sondern allein um jene von Migrant_innen oder deren Nachkommen. Die übrige Bevölkerung darf ihre Identität frei entwickeln und auch beim Elternabend fehlen.

Ein Kind der Verantwortungslosigkeit

Wenn Jugendliche aus den Randbezirken der Staats-Gesellschaft sich selbst und andere in Schwierigkeiten bringen, wollen Berufspolitiker wie Voves, Niessl und Kurz auch weiterhin keine Verantwortung übernehmen. Sie wollen die Störenfriede, die das Versagen der Politik offensichtlich machen, per Strafgesetz zum Schweigen bringen, sie verschwinden lassen.
Geldstrafen, Inhaftierung, Staatsbürgerschaftsentzug, Abschiebung: Das sind ihre faschistoiden Wunschmittel. Fremd, arm und migrantische Minderheit zu sein würde so schnell zur Straftat.

Wenn ein Vater seine Tochter nicht zu Schule gehen lassen will, weil er zufällig Taliban ist, solle nicht bloß das Schulpflichtgesetz wirken. Man will aus seinem Vergehen ein noch schlimmeres machen, das – unter dem Titel “Integration” – seine gesamte Identität betrifft. Möglicherweise stellt es auch alle seine Verwandten, der Sippenhaft ähnlich, unter Verdacht. Nicht nur die Tat will man bestrafen, sondern auch deren Motivation!

“Verbrechen” und “Tragödien”

Wie ich im Gratisboulevard “Heute” einst lesen musste, weil ich redaktionell drüber musste: Der Taschendiebstahl eines jungen “Türken” gilt dort als ein schweres Verbrechen. Den Axtmord eines autochthonen Vaters an seiner Familie nennt man eine “Familientragödie”.

Im Rechtsstaat nicht realisierbar


Natürlich kann so eine transösterreichische Schnapsidee, unerwünschte Identitäten staatsgewaltsam zu verfolgen, nicht Realität werden. Beim VGH fühlt man sich jetzt schon von der Legislative dezent verarscht.
Aber allein solche Gedanken, auch wenn oder gerade weil es sich um puren Rechtspopulismus handelt, aus den Mündern amtierender Landeshauptmänner, “Sozialdemokraten”... Unterstützt vom “Integrationsminister”... Das ist ein neuer innenpolitischer Tiefpunkt in Österreich.

Und selbst die Freiheitlichen machen sich über die Bläue dieser Ideen lustig, natürlich ohne zu merken, dass sie damit über sich selbst lachen. Es ist halt doch auch ein Bisserl Fasching.

Das griechische Experiment: Echte Linke

Am europäischen Olymp herrscht dicke Luft

Die Sozialdemokrat_innen sollten nervös werden


In Griechenland gewann also das Bündnis der radikalen Linken. Radikal links zu sein ist dabei nicht sonderlich schwer, vor allem, wenn schon die durchschnittliche "Sozialdemokratie" als "links" gilt.
Eigentlich müsste man sagen: Die wirklichen Linken gewannen. Das sollte die Mainstream-Sozi-Parteien in Europa nervöser machen als die Finanzmärkte; oder gar die Konservierungs-Parteien.

Mit Syriza in Koalition traten die "Unabhängigen Griechen", so ein rechtspopulistisches Häufchen Unionsgegner. Gleichviel: Selbst wenn es sich um eine Dachorganisation neoliberaler Taugenichtse und Kellernazis handeln würde... Man muss nur nach Österreich schauen.

Was kann schlimmer sein als bisher?

In Fragen der Aysl-, Einwanderer-, Kultur-, Sozial- und Wirtschaftspolitik setzte die schwarz-blaue Regierung nur fort, was unter Schwarz-Rot begonnen und später von ihr fortgesetzt wurde. Im Enddarm der Wirtschafts- und Finanzlobbys sind alle politischen Farben braun.

Und dieser Tage sind es vor allem Sozialdemokraten, mit Unterstützung ihrer christlich-bürgerlichen Koalitionsgenossen, die unter dem Codewort "mangelnde Integration" die Kriminalisierung von Kindern aus schwierigen Elternhäusern planen (sofern diese fremdländisch genug erscheinen).

Rechtspopulisten brauchen sich selbst nicht

Kurz gesagt: Man braucht die Rechtspopulist_innen gar nicht, um depperte Politik zu machen. Populist_innen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein großes Maul haben - mehr aber nicht.
Syriza aber braucht die ANEL um schnell eine Regierung bilden zu können. Dieser Ehrgeiz sollte Vertrauen erwecken.

Euro fair statt Euro weg

Auch will Ministerpräsident Tsipras und seine Jünger nicht den Euro oder die EU beseitigen. Sie wollen neue, faire Bedingungen für ihr verschuldetes Land mit den anderen Verantwortlichen verhandeln.
Die - zumal von Außen verordnete - Einsparungspolitik, nicht nur gegen Griechenland, wird von den ernstzunehmenden Wirtschaftsexpert_innen seit langem kritisiert. Worin liegt also das Problem, wenn die neue griechische Regierung diese bekämpfen will?

So ein Signal ist nicht egal

Letztlich sind die Wahlen in Griechenland deshalb ein positives Signal, weil es zeigt, dass auch andere Ergebnisse als die üblichen möglich sind. Die europaweit zu einem handlungsfeigen Einheitsbrei verschmolzenen "konservativen", "sozialistischen" und teilweise "liberalen" Parteien haben nicht jedenfalls nicht gezeigt, dass sie Europa irgendwohin lenken könnten. Es braucht einen radikalen politischen Ruck, um die EU aus ihrer Krisen-Angststarre zu befreien.

Don't panic

Die Griech_innen haben jedenfalls gezeigt, dass sich von der merkelistischen Panikmache nicht mehr einschüchtern und verunsichern lassen; nicht von den paradoxen Medien. Diese warnen einerseits vor der aktuellen EU-Wirtschaftspolitik, andererseits davor, dass sich genau diese Wirtschaftspolitik in Griechenland ändern könnte.

Hier fand also auch ein ideologischer Befreiungsschlag unter europäischen Bürger_innen statt. Auch das ist ein gutes Signal. Jetzt sollten wir der neuen griechische Regierung aber erstmal beim Arbeiten zusehen. Dixi.

Donnerstag, 22. Januar 2015

Sieben Milliarden

Sieben Milliarden
So ungefähr
Und ich muss beklagen
Als ob er es wert wär
Den Bruchteil
Der durchdreht
Der nicht versteht
Der Schandtaten
Und Straftaten begeht

Ein Bruchteil dieser gewaltigen Menschheit
Nicht sehr gescheit

Dienstag, 13. Januar 2015

Wort Gottes

Wort Gottes
Du kommst aus den Menschen
Gesagt

Getan
Menschen Handeln
Du bleibst dir überlassen

Menschen Gott
Du bist die Welt
geatmet

Je suis humaniste: Erwachen einer Zivilgesellschaft

Gesunder Pathos einer Zivilgesellschaft

Nach den feigen Morden in der Redaktion von Charlie Hebdo und bei daraufhin folgenden Geiselnahmen, gingen Millionen in Frankreich Trauer wegen und Widerstand gegen (islamistischen) Terrorismus demonstrieren. In ganz Europa, auf  der ganzen Welt fanden Solidaritätskundgebungen für „Charlie“ und Frankreich statt.
Darüber muss man nicht lange nachdenken. Diese Symbolkraft, der überall wehende Pathos tut uns allen gut. Belebend fühlen wir dieses wiedererwachte kollektive Bewusstsein: Es geschah mitten in Europa, betrifft die Freiheit von uns allen. Plötzlich sind wir wachgerüttelt.

Plötzlich ist Paris mehr als die Hauptstadt Frankreichs, plötzlich ist es allen Europäer_innen unmittelbare Nachbarschaft. Noch nie fühlte sich der Place de la République so nahe an.

Was passiert hier?
 
Und seit wann kümmern sich die verwöhnten Europäer_innen um IHRE Pressefreiheit, um IHR Recht auf freie Meinungsäußerung, um ihre Rechte im Allgemeinen? Es versammelten sich sogar 12 000 in Wien. So etwas passiert hierzulande höchstens, wenn Beamt_innen ihre Gehälter gefährdet wähnen.
Und die dort aufgereihten Berufsspitzenpolitker_innen hielten's gemeinsam z'amm – das professionelle Mundwerk, ließen Bessere sprechen. Was vernünftig war. Vernünftig! Was passiert hier?

Und was passierte davor?

Immer noch ziemlich ungerührt blickt ein Großteil von uns dem TTIP entgegen, auch wenn... oder gerade weil Billigzeitungen mit chlordesinfiziertem Geflügel vom eigentlichen Problem ablenken. Meinungsfreiheit geht mit dem Recht auf Information einher. Aber Transparenz bei den Freihandels-Verhandlungen zwischen EU und USA (und Kanada) gibt es nicht.
Auch erträgt man großmütig, dass dieser so genannte „Boulevard“ die plötzlich wieder so wichtige Pressefreiheit regelmäßig missbraucht, in dem er Unwahrheiten verbreitet, die seinen gewissen Geldgeber_innen aus Politik und Wirtschaft nützen. Das geschieht in ganz Europa.
 
Auch waren die "westlichen" Demokratien, allen voran die ganz westlichen, bisher bereit, sehr viel von ihrer Freiheit aufzugeben, gerade wenn es dem "Krieg gegen Terror" angeblich dienen sollte. Diesem fielen auch in Europa schon früher zahlreich Menschen zum Opfer, ohne eine Regung der Zivilbevölkerung in dem Ausmaß zu provozieren wie sie zur Zeit stattfindet.
Viele gingen europaweit jedenfalls nicht demonstrieren, als der britische Geheimdienst einfach beim Guardian hereinspazierte, um Festplattten mit Snowden-Informationen zu löschen.

Es geht um große Gefühle

Aber das war vor den Anschlägen von Paris. Jetzt sieht alles anders aus. Ob der Zeit-Herausgeber sich dieser Tage getraut hätte, die Kabarett- und Satireshow Die Anstalt zu verklagen, weil diese 8 statt nur 7 Lobbyverbindungen der Zeitung aufzeigten (siehe hier)? Wahrscheinlich schon, bleibt auch sein Recht. Heute bekommt der Fall allerdings einen noch unsympathischeren Beigeschmack.
 
Es geht um große Gefühle, zum Beispiel das große Gefühl, das uns sagt: Die Prinzipien der Aufklärung und des Humanismus sind immer noch wichtig. Wir dürfen uns wieder trauen, zu ihnen zu stehen. Und wir stellen fest, dass es uns kollektiv gut tut.
Charlie Hebdo war irgendwann allen zu viel Satire, irgendwann allen Polikter_innen Feind. Heute ist er vor allem letzteren wieder Freund (man könnte nun Böses unterstellen... aber ich möchte nicht zu viel Satire riskieren).

Überraschende Schmähstille der Antimuslime

Wir lieben auch all die anderen Narren wieder, die uns den Thron mit Nadeln spiken, die kreativen Reaktionen von Karikaturist_innen aus aller Welt. Wir wissen nun um ihren für uns Wert bescheid.
In der Türkei und Ägypten nützen Journalist_innen und Satiriker_innen die nun freiheitsfreundliche Stimmung, um auf ihre schwierige Situaion und auch ihre Wichtigkeit aufmerksam zu machen.

In Frankreich fehlte die Front National bei den Trauerkundgebungen. Antimuslimische Äußerungen blieben in den großen Medien aus. Pegida in Deutschland erscheint schmähstad, nachdem, trotz der islamistisch ersponnenen Attentate, 35 000 in Dresden gegen die Islamfeinde demonstrierten. Zu Recht: Die Beteiligung von Muslimen am Kampf gegen die Terroristen ist nicht zu bestreiten. Der Moslem Lassana Bathily wird als Held gefeiert. In your face, Rechtspopulismus!

Der schlafende Humanismus hat sich bewegt


In diesen Tagen regt sich nicht die Angst einer terrorisierten Gesesellschaft. In unseren Tagen regt sich die aufgeklärte Zivilgesellschaft zum Widerstand gegen alle ihre Feinde. Es geht kollektiv-bewusst nicht nur gegen die islamistischen, bereits toten Mörder. Es geht auch gegen deren unsinnsverwandte Islamfeinde, gegen Antihumanist_innen. Europa geht wieder.

Es ist vielleicht naiv eine zivilisatorische Aufbruchsstimmung zu riechen. Wir müssen nun an allen Ecken und Enden darauf achten, dass gewisse Staatschefitäten die Situation – trotz ihres Bekenntnisses zu europäischen Werten – nicht ausnützen, Intransparenz, Militarisierung, Überwachungsapparat und Zensur wieder auszubauen.

Bin aber der Meinung: Wenn schon eine positive Welle – zudem nach so einem schrecklichen Attentat – durch Europa schwappt, sollten wir sie surfen. Und ich glaube, wir sind wenigstens ein Stück weit aufgewacht. Wir können nur hoffen, wir bleiben es.

Je suis Facu Díaz

Nachtrag: Ohne Charlie Hebdo hätte es dieser Fall gewiss nicht bis in unsere Zeitungen geschafft. Die „Charlie“ Rajoy nahestehende Gruppe „Würde und Gerechtigkeit“ (deren Selbstbenennung bereits an Ostblock-Faschismus erinnert) verklagt einen spanischen Satiriker.

 

Freitag, 9. Januar 2015

Nimmerglauben

Wer sich beleidigt weiß
Glaubt nicht mehr
Da schmerzt der Stolz auf menschliche Weis
Es kommt wohl nicht vom Göttlichen her

Wie niedrig irdisch wäre der Geist
Der eines Witzes wegen
Die Spaßvögel zu schießen weist
Als wäre es göttlicher Segen

Frei fliegen lässt die Göttlichkeit
Alle Vögel weit und breit

Und wie schwachgläubig sind Religiöse
Die ihren Glauben gefährdet sehen
Vom weltlich medialen Getöse
Nur in Barbarei
Nicht im Spirituellen weiter gehen

Wer mit schwachem Glauben kommt
Zum gewalttätigen Schluss
Hat, was auch immer frommt
Doch nur einen Schuss

Je suis Charlie: Jetzt erstmal Rechtsstaat bleiben

Die Faust aufs Gutmenschenauge

Passt ja wie die Faust eines besoffenen Neonazis aufs Gutmenschenauge. Kaum regt sich Widerstand gegen den Widerstand der Selbsthilfegruppe für Islamophobe in Deutschland, wird in Frankreich ein Mordanschlag verübt, der unüberhörbar mit islamistischen Floskeln gebrandet ist.
Die Motivlage ist auch ziemlich klar: Rache für Mohammed. Obwohl dieser schon lange Tod ist, meines Wissens an Altersschwäche starb und Charlie Hebdo vermutlich nie gelesen hat.

Aber der arme Religionsgründer wird nicht nur von vermeintlichen Anhängern als Vorwand für Mord und Barbarei missbraucht. Die Trolle dieser Welt geifern schon: "Gewaltreligion Islam!", "Mohammed böse!", "Meine Spielkonsole ist kaputt!"

Immer das selbe Mus.

Hab eigentlich keine Lust über all den Schwachsinn zu... Aber schon lese ich auch intelligentere Menschen rauschen: Natürlich dürfe man 50 Millionen europäische Muslime nicht für die Morde generalverurteilen. Ich gratuliere zu dieser Erkenntnis. Dieser folgt aber meist irgendein Aber:
Die Muslime wären schon ein Bisschen mitschuld, meint man mal mehr mal weniger indirekt. Denn im Allgemeinen würden sie keinen Humor verstehen, wären immer gleich beleidigt, vor allem, wenn man sich über ihre Religion lustig mache.

Ganz anders wären da andere Religionen, womit man meist das europäische Christentum meint. Also jenes Abendland, das Pegida zu verteidigen wünscht. Wobei Kommentator_innen wie der Standard-Rauscher vergessen haben, was man mit unserem heimischen Karikaturisten Gerhard Haderer nach seiner Jesus-Biografie machte.

Stimmt, das Urteil in Griechenland wurde irgendwann wieder wegen Lächerlichkeit aufgehoben, aber bisher wurde innerhalb der EU noch kein Satiriker wegen Fun mit dem Islam zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.
Die Menschen bei Charlie Hebdo wurden hingegen von Verbrechern ermordet. Damit hat der unterstellte Integationsmangel von Muslimen nichts zu tun. Wer das nicht begreift, braucht nicht pathetisch von europäischen Werten zu faseln, vor allem nicht von rechtsstaatlichen, denn er oder sie begreift sie offensichtlich nicht - entweder aus mangelnder Integrationsfähigkeit oder aufgrund eines politischen Fehlers in der rechten Gehirnhälfte.

Unter den Opfern: Die Logik


Kein Mensch, der oder die wirklich religiös ist, versteht (öffentlichen) Spaß auf Kosten seiner eigenen Religion. Das haben alle Religiösen gemeinsam. Und das ist auch irgendwie menschlich. Spöttelt in den Wiener Öffis einmal über den Verein eines anwesenden Austria- oder Rapidfans: Ihr werdet euer blaues Auge erleben.

Stimmt, man wird dabei nicht gleich erschossen. Aber wenn man erkannt hat, dass für islamistischen Terrorismus nicht alle Muslime verantwortlich gemacht werden können, dann gibt es kein weiteres Aber.
Sie sind nicht verantwortlich. Die Täter_innen sind verantwortlich. Punkt. Das hat sich seit den letzten islamistischen Terroranschlägen nicht geändert. Es sei denn, in Paris wurde die Logik mit-erschossen.
Dieser widersprechen die Zeitungsschreiberlinge, die zum Einen meinen, nicht der gesamte Islam sei mörderisch, zum Anderen aber erklären, dass sich die Euro-Muslime nun entscheiden müssten, auf welcher Seite sie stünden.

Lokalidentität VS Humanismus (dem schwarzen Schaf der "europäischen Werte")


Das Problem mit dem wichtigen "europäischen Wert" des Humanismus ist, dass ein universales Menschenbild immer das Aufgeben einer lokal orientierten Identität erfordert. Nicht nur beispielsweise Muslime aus dem mittleren Osten müssen ihre Identitäten anpassen, wenn sie Europäer_innen werden wollen. Auch jene, deren Vorfahr_innen vor etwas längerer Zeit völkergewandert sind, müssen den Teil ihrer Identität aufgeben, der sie glauben lässt, dass nur die, die so sind wie sie, immer schon hier gewesen wären und immer schon so gelebt hätten wie sie selbst gerade, weshalb alle, die davon abweichen, nicht hierher gehörten.

Nicht Glaubensbestand sondern Tatbestand...

Und wenn wir, die wir uns als "wir" im Vergleich zu "denen" beschreiben, medial ankündigen europäische Staats-Prinzipien zu verteidigen, müssen wir Kriminelle jagen gehen. Oder in unserem Teil der Ukraine die Zensur gegenüber Russischem abschaffen.
Die Muslime Europas müssen sich aber nicht für irgendwelche Stellungsnahmen gegenüber dem Charlie-Hebdo-Attentat entscheiden; nicht mehr oder weniger als Mitglieder anderer Religionen.

Denn in Europa ist Religion Privatsache. Auch die Religion der Attentäter. Nicht ihre Zugehörigkeit, nicht ihr Glauben macht sie schuldig, sondern ihre Tat. Es hieße sonst Glaubensbestand und nicht Tatbestand.
Politisches Kleingeld meinerseits

Ein unerhörter Nachsatz

Ergänzen möchte ich auch eine Kleinigkeit, die von den Medien nicht mitgeschnitten wurde. Merkel und Cameron verurteilen den Anschlag auf Charlie Hebdo gemeinsam. Dazu meinte der britische Premier, dass man so eine Beschädigung der Werte von Demokratie und Redefreiheit, die zumindest ihnen wichtig wären, nie erlauben dürfe durch diese Terroristen.
Ungehörter Nachsatz: "Denn das ist schon unser Job. Also welcher Idiot hat das erlaubt?"


Nachtrag: Die Verantwortung...

Wieder der Rauscher, aber nicht nur dieser, meinen, die islamischen Gemeinschaften müssten jetzt Verantwortung übernehmen: Für die Täter oder junge Personen mit dem selben "Täterprofil" oder ähnlichen Karrierechancen.
Das stülpt nicht nur einen Generalverdacht über arbeitslose Vorort-Mirganten, die es schließlich wie Kichererbsen im Humus gibt, ohne dass überall Satiriker_innen ermordet werden.

Welcher Islam soll verantwortlich sein?


Ein weiterer Fehler: Von welchen Glaubensgemeinschaften sprechen die Kommentator_innen? Auch Eurozentrist_innen sollte mittlerweile schon wissen, dass es nicht nur einen Islam gibt. Also welche Richtung, welche Moschee soll hier Verantwortung übernehmen und mit wie vielen Mitteln sollen diese subventioniert werden, um die Heerscharen perspektivenloser Jugendlicher aufzufangen. Kann man das nicht dazusagen, sind solcherart Forderungen für den Döner.

Auch Europäerinnen

Die Verantwortung für Kriminelle, wie jene Attentäter, liegt in der gesamten demokratischen Gesellschaft, liegt beim Staat. Das diese verabsäumt wurde, ist mit ein Grund für die Radikalisierung verarmter Muslime. Selbst wenn man diesen die alleinige Verantwortung zuschieben wollte: Kümmern wird es früher oder später alle. Daher muss Europa endlich anfangen, seine eingebürgerten Migrantischen als Mitglieder wahr zu nehmen, deren Probleme unsere Probleme sind. 

Mittwoch, 7. Januar 2015

Europa

Einheit des Geistes
Wunschform so zu sagen
Im Zwiespalt seines Geleites
Im Netzwerk seiner Plagen
Die Führungen wollen nicht sollen
Oder können nicht wollen
Was mit Wirschaftsinteresse tituliert
An Hand der Menschen zu lenken
Weil das Geld sie regiert
Das sie als Selbstzweck denken

Und seine griechische Wiege
Erbebt belagert von geldigen Heerscharen
Wen führt dieser Streit zum Siege?
Des Südens demokratische Freiheit
Oder des Nordens Finanzbarbaren?
Wird die Sonne der Aufklärung untergehen
Oder über verdunkelnden Medien steigen?
Werden wir nur noch die Schatten unserer Wirklichkeit sehen
Oder einander neue Wege zur Weisheit zeigen?

Zurück ins Leben
Renaissance!
Wohin kann Europa streben
Wo es nicht schon war
Als kreiste es um seinen eigenen Schicksalsstern
Mit jedem Erdenjahr
Und nicht einmal ein Jahrhundert fern
Erschloss der Kreis die letzte Katastrophe
Erklang des Trauerspiels uralte Strophe

Nun ist es wieder an der Zeit zu streiten
Europa!
Die Fratzen vergangener Dunkelzeiten
Warten schon ein Weilchen da
Wo neue Anzüge Monstergestalt verhüllen
Nur ihre Lügen verraten
Die Wahrheit in allen Füllen
Lässt du dich nicht von deinen Ängsten beraten

Und die neuen Moden können weder
Alten Menschenfluch verschönen
Noch alte Menschenweisheit verpönen
Die trägt in sich jede und jeder

Richte dich auf Europa
Und sei menschlich
Die Lebenslinien von Oma und Opa
Führen die jungen unendlich
Weiter und voran
Willst du Fehler daraus sieben
Nimm als die Deinen an
Und beginne dein Besserwissen zu lieben

Das Volk sei erneut ermächtigt
Die Konzerne und Banken seien demokratisiert
Weil der Staat das Private erst berechtigt
Und ohne Gerechtigkeit
Mensch sich verliert

Europa, du Feste
Reisse deine Mauern nieder
Nimm ihre Reste
Und stärke dein Fundamet damit wieder