Freitag, 17. Oktober 2014

Globale Staatsverwirrungen: Wollen und Sollen

Der Staat sei Staat

In Europa werden Unabhängigkeitsbestrebungen aller Art, das heißt neue Staatsgründungen, skeptisch betrachtet. Schottland hatte seine Chance und ließ sich erneut kaufen. Katalonien würde auch gerne abstimmen, kann aber nicht, weil ganz schlaue Spanier_innen meinen, ihre Verfassung würde keine Verfassung außer ihre Verfassung kennen.
Aber auch außerhalb der EU gibt es gewisse Bestrebungen einzelner mehr oder weniger historischer Volksgruppen, sich eigene Staatsgebilde aufzubauen; dort leider meist mittels Gewalt und Verbrechen.
Das gesicherte Publikum dieser global verstreuten Konflikte lässt sich von den dort herrschenden, vor allem geistigen und moralischen Wirren anstecken. Manchmal, wie es scheint, ohne es zu bemerken, beginnen viele ihren eigenen Staat in unbewusste Frage zu stellen.

Scotland the Bought

Die Schott_innen hatten gute Gründe für ihre Unabhängigkeitsbestrebungen. Die Nationalist_innen in Edinburgh sind seit jeher das, was man auf dem Kontinent als Linke bezeichnen würde. Mit ihnen steht ihre sehr autonome Regierung im argen Widerspruch zum primitiv pseudoliberalen Finanzfreibeuterum Londons. Das herrschte dort auch unter den groß-britischen Exlinken von Labour.
“But English gold has been our bane”, schrieb bereits der schottische Nationaldichter Robert Burns. Weitere Gründe, Teil Großbritanniens zu bleiben, lagen in der systematisch geschürten Furcht vor einem Neubeginn und in gewissen Zugeständnissen der Cameron-Regierung zu noch mehr Autonomie. Im Westminster-Palast werden diese allerdings bereits stark bekämpft.

Und genau solche Zugeständnisse machen Schottland ohnehin zunehmend zum eigenen Staat: Zu Menschen, die gemeinsam auf bestimmtem (Staats-)Gebiet unter einer bestimmten Verfassung (Das Vereinigte Königreich verfügt über keine kodifizierte), bestimmten Gesetzen und eigener Regierung zusammenleben.
Daher kann man sich auch in Katalonien oder im Baskenland durchaus fragen: Warum nicht gleich einen eigenen Staat daraus machen? Zumal deren Autonomie ebenso historisch begründet ist.
Von der kulturellen, sprachlichen und mythischen Identität will ich aber generell absehen, weil diese über Staatsgrenzen hinausgehen kann – problemlos, wenn man sie lässt.

Ukraine: 100% Ukrainer_innen

Daher sind die “Unabhängigkeitsbestrebungen” innerhalb der Ukraine, die keine sind, weil sich die Separatist_innen für die Abhängigkeit von der Putin-Diktatur entschieden, anders zu bewerten. Die ukrainische Bevölkerung besteht zu 100 % aus Ukrainer_innen.
Dass manche von ihnen (besser) Russisch sprechen, ändert nichts an ihrer Staatsbürgerschaft. Die Russischsprachigen hatten keine eigene Verfassung, für die sie das Land nun bürgerbekriegen.
Die Krimtataren, als alte, eigenständige Ethnie, hätten viel mehr Grund gehabt, einen eigenen Staat zu bilden. Aber sie fragte niemand. Sie wollten auch nicht. Aber vor allem wollten sie nicht zu Russland, wie sich dank russischer Repressionen mittlerweile gut begründet.

IS: Islamischer Scheinstaat

Eine Verwaltungsstruktur aufzubauen reicht nicht, um sich Staat zu nennen. Ansonsten wäre jeder Möbelhausbesuch ein Urlaub in ausländischer Sitzlandschaft.
Wenn der “Islamische Staat” (vormals nur auf Syrien und Irak beschränkt) gewaltsam Gebiete unterjocht, die Bevölkerung abschlachtet, versklavt oder unter ihre tyrannischen Gesetz zwingt, nennt man das eine Kolonie. Zudem dürfen wir als Demokrat_innen durchaus unsere Kriterien zur Beurteilen anderer Staatsgebilde anwenden.

Was daher Saudi-Arabien und seine Verwandten sein soll, weiß ich nicht so genau. Ein königliches Verwaltungsgebiet? Ein Sklavenstaat? Oder wird Demokratie und Gerechtigkeit automatisch durch Öl ersetzt?

Et tu felix Austria?

Man könnte sich bei Österreich auch nicht so sicher sein. Jedes Bundesland versalzt sein eigenes Süppchen. Trotz kleinem Staatsgebiet funktioniert die Kooperation zwischen den Teilregionen nicht. Und sobald die Regierung anstrebt, den Staat wieder zu einem Staat zu machen, poltern die “Landesfürsten” mit Erfolg. Jedes Regierungsmitglied stammt ja aus einem dieser Fürstentümer, bleibt diesem gegenüber abhängig und loyal.

Überhaupt scheint man es mit der eigenen Verfassung in Österreich nicht so genau zu nehmen. Abergläubische Menschen können den staatlichen Schulunterricht mit ihren pseudoreligiösen Wahnvorstellungen zum Teufel schicken (Trennung von Kirche und Staat?). Eine Organisation mit eindeutig faschistischem Gedankengut (Scientology), darf hierzulande ihre Filialen öffnen. Die erwähnten “Landesfürsten” dürfen ihre jeweilige Finanzwirtschaft bestimmen und geheim halten (verfassungsrechtlich nicht gedeckte "Heiligenbluter Vereinbarung"). Und die Macht liege zwar beim Volk, diese kann aber ohne Wissen nicht wirken ( und dank komplexer “Amtsgeheimnisse”).

Statt Staat Schmähstaat

Statt also den Staat Staat sein zu lassen, beschließt man beispielsweise ein neues “Islamgesetz”, weil sich das Wahlvolk angeblich vor dem Islamismus in die Hosen scheißt (gesellschaftliche Verhosenscheißerung). Ein klarer Verfassungsbruch. Und unnötig.
Wir haben bereits Gesetze in diesem Staat, die das Bedrohen, Terrorisieren und In-Die-Luft-Sprengen von Mitmenschen verbieten. Himmel, Arsch und Zwirn: Sogar Tierschützer_innen werden wegen in Österreich wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angezeigt, weil sie einem Modehaus auf die Nerven gehen. Ein neues, diskriminierendes Gesetz schützt uns nicht automatisch vor mangelhafter Exekution bestehender Gesetze.

Keine Extrawürste

Übrigens ist es völlig belanglos, woher die Menschen kamen und wohin sie gehen, wenn sie islamistisch oder andersartig radikal werden. Der kulturelle Hintergrund, die jeweilige Religion hat den Staat nicht zu interessieren.
Daher darf es keine gesetzlichen Extrawürste für “Minderheiten” geben. Die Gesetze müssen so gestaltet sein, dass sie die Bedürfnisse der Minderheiten miteinbeziehen. Sie müssen also universal menschengerecht sein.
Das bedeutet übrigens auch, dass es den Staat ungerührt lassen müsste, wenn sich eine christliche Minderheit vor dem Bau von Moscheen fürchtet. Ein Staat, der sich von sich fürchtenden oder fürchterlichen Menschen regieren lässt, kommt nicht weit.

Staatsbürgerschaft

Als Staatsbürger_innen sind wir lediglich unserer Verfassung gegenüber verpflichtet. Loyalitäten einer höheren (oder tieferen) Macht, einer fremden Nationalität, irgendeinem folkloristisch-romantischen Volksmythos oder einem bescheuerten Diätplan gegenüber sind irrelevant.

Der Staat muss keine Sondergesetze für Staatsbürger beschließen, die im Ausland Verbrechen begehen, nur weil sie gewissen Identitäts-Kollektiven angehören. Es sollte für die rechtliche Handhabe keinen Unterschied machen, ob Österreicher_innen in Thailand als Tourist_innen Kinder missbrauchen oder in Syrien als Islamist_innen Kinder ermorden.
Unrecht bleibt Unrecht. Das Strafmaß bestimmen die Gerichte. Der Staat – und damit wir Staatsbürger_innen – sollte sich darauf konzentrieren, Staat zu sein. Nur so kann er seine gegenwärtigen Probleme – und damit die Probleme von uns allen – bewältigen.

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