Montag, 6. Oktober 2014

Bildungsdeppatte: Mehr vom Alten

Experten

Als Bewohner dieser Menschenwelt lernt man eines sehr bald: Europäische Männer ab 45 sind Experten für Eh-Alles. Aber auch von Spezial-Experten gibt es in den Medien stets einen gewissen Überschuss.

Sie zeichnen sich meist dadurch aus, dass sie, aufgrund von Ausbildung und Berufserfahrung, über ein bestimmtes Thema besonders gut bescheid wissen sollten. Allerdings reden sie selten explizit darüber, sondern lieber um den heißen Brei und wie diesen andere versaut hätten.
Vermutlich nennt man sie daher auch im Allgemeinen „Experten“ und nicht etwa ihrer Berufsbezeichnung entsprechend. Während früher einmal ein_e Expert_in jemand war, der/die einen dem Thema entsprechenden Beruf ausübte und nicht unbedingt über berufspolitische Verbindung zum Thema verfügen musste.
Oder ist „Experte“ neuerdings ein Beruf für sich? Vor Kurzem hieß der noch „Jurist“.

Bildungs-Deppatte

Im „Kommentar der Anderen“ meiner Standardzeitung Der Standard schrieb heute ein Experte darüber, wie zwei andere Experten in der selben Rubrik gegeneinander anschrieben. Ursprünglich sollte es um Bildung gehen. Letztlich ging es in den vorhergehenden Kommentaren aber eher um die Eitelkeiten zweier älterer Herren. Trolliger Forenstreit auf sprachlich höherem Niveau.

Besonders bemerkenswert: Die beschriebenen zwei Experten, Bernd Schilcher und Konrad Paul Lissmann, inszinieren bald einen publikumswirksamen Arenakampf. Titel „Sanieren oder ruinieren Experten die Schule?“

Sie sind sich also durchaus einig in ihrem Selbstvertrauen. Die bloße Ratgeber-Funktion ist gestalterisch vermutlich zu wenig herausfordernd. Und ob sie, als Experten, eigenhändig und anscheinend doch geeint das Schicksal ihrer Wissensobjekte umkrempeln können, werden wir gewiss bald herausfinden. Schließlich drängt die Zeit.

Viel Habenwollen, wenig Haben

Zum Thema Bildungsproblematik Österreich liest man jedoch auch an anderen Orten meist nur Floskeln und oberflächliche Forderungen. Alles müsse besser werden, freier, unabhängiger, organisierter, flexibler, wettbewerbsfähiger, wettbewerbsfreier. Man brauche mehr von diesem, weniger von jenem.

Man begnügt sich seit Jahren, zu wiederholen, dass sich etwas verändern müsse. Kaum jemand erklärt, wie all das Gute im Detail und in Relation zu den Verhältnissen erreicht werden, woher es kommen soll und kann. Man geht davon aus, dass man im Ministerium nur eine Schublade öffnen müsse und schon würde die bessere Schule heraushüpfen.
Aber vermutlich müsste man erst die Bücher der Experten erwerben, um die für unsere Gesellschaft so wichtigen Geheimnisse zu erfahren. Kommen und gehen Sie für die Zukunft ihrer Kinder einkaufen.

Es sollte allerdings niemand glauben, dass mit einer nur rudimentär beschriebenen Umstrukturierung der Schulhierarchie, Veränderung der Klassengröße, Verschiebung der Kompetenzen, Finanzen und Befugnisse – oder der in Österreich so beliebten Unbenennung von problematischen Dingen – das Grundproblem gelöst würde.

Dieses liegt nämlich im veralteten System ansich. Aus Zwentendorf wird kein brauchbares AKW mehr. Wir wissen, dass wir es nicht brauchen. Wir wissen, wie gefährlich es ist.
Daran ändert sich auch nichts, wenn man seine Finanzen einer anderen Person anvertraut und das Personal umschichten. Es bleibt auch irrelevant, ob sie es Grund-AKW nennen oder in Haupt- und Gymnasial-Kraftwerk aufteilen – solange es im Kern bleibt was es ist.

Auch eine Frage der Kultur

Die Vorbilder unserer Gesellschaft müssen sich auch fragen, warum manche ihrer Gruppen von einer Paideiaphobie beherrscht werden. In diesen gilt es als geradezu peinlich, wenn er oder sie mehr weiß, als seine oder ihre Stammesmitglieder. Und wer sich nicht mit „Depperte“ oder „Gschissener“ begrüßt, gehört nicht dazu.

„Pädagogisierung“

Eine Antwort könnte die Pädagogik liefern. Diese fragwürdige Wissenschaft geht nämlich davon aus, angehenden Lehrer_innen beinahe alles beibringen zu können, was diese über den Umgang mit fremden, juvenilen Individuen wissen müssten. In der Praxis ist das ein fataler Irrtum.
Aus eigener langjähriger Expertise in verschiedenen Klassenzimmern weiß ich: Respekt und Erfolg ist jenen Lehrer_innen gewiss, die echte Experten_innen ihres Fachgebiets sind und sich verständlich machen können.

Klingt selbstvertständlich, ist es aber offenbar nicht. Vielleicht, weil man die Kinder selbst als Problem betrachtet. Wer aber glaubt, sich Respekt – mittels studierten Tricks – verschaffen zu müssen, hat ihn schon verloren.

Gute Lehrer_innen, bei denen sogar ich etwas lernte, waren meist jene, die zu ihrer umfassenden Berufserfahrung nur noch eine Lehramtsprüfung benötigten; von den studierten Lehrer_innen aber nur solche, die uns Schüler_innen ihr ausgeprägtes Engagement auf einer menschlich unkomplizierten Ebene, ohne dazwischen geschalteten Pädagog_innen-Slang, beweisen konnten.
Kinder wollen nicht „pädagogisiert“ werden. Wenn du im Berufsleben Architekt oder Chemikerin bist, sprich zu uns als solche ohne Hemmung. Wenn du ausgebildete Mathematiklehrerin bist, lass uns (schwer genug) über Mathematik brüten und uns nicht auch noch spüren, dass du eigentlich Angst vor Kindern hast.

Mehr vom Alten bringt keine Erneuerung

Angesichts dessen, was da manchmal an Subjekten aus den Lehrer_innenfabriken gestanzt wird, wirkt die Forderung nach einer Akademisierung des (gesamten?) Kindergartenpersonals wie eine Drohung. Kinder sind auch nur Menschen.
Und man kann sich zwischenmenschliche Kompetenzen nicht anstudieren. Darüber wird aber weder deppattiert noch ernsthaft diskutiert. Manche wollen zwei Lehrer_innen pro Klasse. Mehr Geld sowieso. Interessanterweise auch mehr Macht für Direktor_innen.

Manches wäre gut. Bringt aber nicht viel, wenn die teilweise zu engen Lernvorgaben des Unterrichtsministeriums Zwang bleiben. Wenn sich der Unterricht – außer beim Basteln und Turnen – als Frontalvortrag gestaltet (den nur jene Überstehen, die unfähig sind, sich zu langweilen). Wenn sein oberstes Ziel in guten Testnoten besteht (die auch jene erhalten, die besonders gut schummeln können). Wenn einfach gesagt zu wenig Zeit für jedes einzelne Kind und für das Bessere da ist, das wir uns eigentlich alle wünschen.

Worum geht es letzten Endes?

Die Lehrer_innengewerkschaft hat wenig Interesse die Ausbildung ihrer eigenen Mitglieder oder deren Arbeit wirklich zu hinterfragen. Sie geht nur dann mit tausenden auf die Straße, wenn es um deren Gehälter geht.
Und die Regierung hat überhaupt kein erkennbares Interesse. Sie ist nur bemüht, das Problem der öffentlichen Wahrnehmung von Problemen mit möglichst geringem Aufwand zu verschönern.

Und den selbsternannten, fremdernannten oder zu Recht so genannten Bildungsexperten, die selbst alle Teil des hiesigen Systems waren oder sind, geht es darum, wer von ihnen in der Zeitung die spitzere Feder besitzt. Und ja, in den auflageschwächeren Medien kommen auch andere zu Wort.

Zu selten wird aber mit den Betroffenen direkt gesprochen. Über Probleme der Schüler_innen (Kund_innen) spricht man mit Lehrer_innen (Angestellten). Über Probleme dieser Angestellten mit deren Chefitäten. Aber am liebsten mit Experten, die weder Betroffene noch Entscheidungsträger sind.

PS: ICH darf polemisch sein. Ich bin schließlich kein Experte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Schreib dich aus