Freitag, 25. Juli 2014

Ein Mann von Almería: Leseproben

An dieser Stelle endlich ein paar Leseproben, die einen kleinen Einblick in meinen Roman "Ein Mann von Almería" bieten, ohne zu viel zu verraten...


1.
Nacht und Erwachen

Die andalusische Nacht starrte auf blassen Kunststoff und zurück starrte ein Clandestino, ein inoffizielles Menschenwesen, mittellos und ohne Dokumente oder Rechte der Provinz Almería, über deren Staub er auf einem Plastiksessel hockte und die Tiefen seiner Erinnerungen maß. Er war einundfünfzig Jahre alt, sein krauses Haar bereits ergraut. Frühreife Falten durchfurchten die Gesichtshaut, die sich ledern über die kantigen Knochen spannte.
Ein Augenpaar: Schwarze Perlen, von feinem, blutrotem Wurzelgeflecht umkränzt, schwammen in dicker Milch. Sie glänzten in tiefen Augenhöhlen, im Schein des nahen Lagerfeuers. Die dürren Finger, der von starken Adern durchzogenen Hand, verkrampften sich an den runden Plastiklehnen.
Ein befremdender Gedanke ließ den Mann aufhorchen und erahnen, dass diese schmerzenden Augen und Hände ihm selbst gehörten. Dennoch fühlte er sie weit von sich entfernt.
Doch wessen waren diese langen schweren Beine, deren Füße in ausgetretenen Sandalen endeten, deren Knochen und Gelenke unzählige Meilen einen sorgenvoll hoffenden Kopf getragen hatten. Die ihn so weit geschleppt hatten, um in Südspanien angekommen und abgenützt allmählich zu verwittern; umringt von den buckligen Bauten aus Karton, Plastik und Draht, aus dem dieses Lager der irregulär Eingewanderten bestand?
Jenseits der gewaltigen Sahara, mit ihren stäubenden Dünen im brennenden Wind lag Finsternis und die Fußspuren, die durch sie geführt hatten, waren längst verweht. Irgendwo waren auch die bis dahin nutzlosen Papiere zu dieser Person verloren gegangen, etwa zu der Zeit, als sie das Meer bereits hatte wittern können.
Hinter diesem Meer, das der Mann überwunden, lag ein Grenzwall, den er damals mit letzten Kräften erklommen hatte und es erschien ihm nun, als ob dessen Stahldrahtgeflecht, gekrönt und ummantelt von künstlichem Messergestrüpp, seinem Gedächtnis den Rückblick verwehrte.

Er richtete seinen inneren Sinn ganz auf den stählernen Vorhang, doch blieb dahinter alles unkenntlich; dort, wo ein anderes Ich desselben Mannes in den Klingen hängen geblieben sein musste, der nun inmitten riesiger Plantagenfelder festsaß und dem das Erinnern eine unerträgliche Anstrengung bereitete.
(...)


2. Lauf mein Kind 

(...)
Sancho war fünfundzwanzig Jahre alt, lebte in einem beliebigen Örtchen Andalusiens bei seiner Mutter in einer Betonschachtel und war süchtig nach Computerspielen. Sein Geld hatte er üblicherweise als Gelegenheitsarbeiter verdient, Ziegelsteine und Kabel schleppend auf den Baustellen anderer Betonschachteln, die als gleichförmige, weiße Bauklötze unterschiedlicher Größen über dem Land verstreut wucherten. Manchmal hatte er auch einem guten Bekannten geholfen, die Kundschaft für dessen Webdesign-Firma abzufertigen.
Als das Immobilienblasenplatzen auch in Spanien den Schaumteppich in den Sektgläsern zahlreicher Investorenabhängiger zum versiegen brachte, verlor er zwar seine Teilzeitarbeitslosigkeit, wurde aber dennoch nicht ganz unbeschäftigt.
Die Gewinne mit Krediten auf Kredite, die mit Krediten auf andere Kredite finanziert wurden, waren stets erstaunlich vielversprechend. Doch war irgendjemand bei der ganzen Sache nervös geworden.
Dieser Trottel war außerdem auf die äußerst dreiste Idee gekommen, einmal nachzufragen: Wie viel waren die Immobilen, die man in großer Eile aus den Küstengründen Spaniens herausgepresst hatte, wirklich wert? Und hatte man diese durch den Kredit auf einen Kredit, der mit einem Kredit auf einen anderen Kredit erworben war, grundsolide finanziert?
Ernüchterung führt zwar meistens zu Kopfschmerzen, doch in diesem Fall hatte sich der Fragende eine Alkoholvergiftung eingefangen und war auf der Intensivstation wieder erwacht. Er hatte sich selbst aus einem wunderschönen Traum geweckt.
Sanchos Träume waren mittlerweile zu neunundachtzig Prozent von der World of Warjoy erfüllt und diese konnten so bald nicht platzen, solange der Empfänger des Internets warm blieb und Mama die Rechnungen zahlte.
Die restlichen elf Prozent des sanchoschen Traumgeschehens wurden von Alltagsverarbeitung ausgefüllt: Den abstrakten Wiedererscheinungen beinahe zweckloser Jobsuche und ausdauerndem Weinkonsums. 
(...)


9. Clubzwänge und Nachtwege

(...)
Die lange, silbrig glitzernde Dame hatte in der zwischenzeitlichen Abwesenheit ihres widerstreitenden, geleckten Liebhabers und Zuhälters beschlossen, ebenfalls in die Dunkelheit der Nacht zu entschwinden. Ihr Name war Anja „Tall“ Titowa.
Was sie am meisten an ihrem Partner hasste, war, neben seiner unberechenbaren Gewalttätigkeit, die sporadisch auch sie traf, dass er ein gewaltiger Trottel war. Die schmale, violette Schwellung unter ihrem Auge schmerzte nicht mehr, verschwand mit ihr im Schatten des Hinterhofs. Dennoch störte ein solcher, schwer zu überdeckende Makel in ihrem länglich schmalen Gesicht bei ihrer Arbeit und damit ihr Einkommen.
Mit seinen spontanen Faust-Eskalationen behinderte er schließlich sein eigenes, ihr gemeinsames Geschäft. Sei es beim Tanz, bei gewissen Freiern, die er seine „besonderen Freunde“ nannte oder der gelegentlichen Porno-Heimarbeit, die sie selbstständig übers Internet vertrieb.
Ihr nunmehriger Exfreund hatte von digitaler Arbeit und Verwaltung keine Ahnung. Sie überließ ihm das kassieren, musste es, dann hatte sie manchmal ihre Ruhe.
Je mehr sie nun, da sie ihm entfloh, über ihn nachdachte, umso größer wurde ihre Wut darüber, was für ein schmerzhaft plumper Idiot der Kerl war. Noch wütender wurde sie über die Idiotin, die sie selbst war.
Nun passierte sie jedoch den grünen Schimmer des Notausganges, den letzten Anblick jener heruntergekommenen, höchst renovierungsbedürftigen Bar, in der sie die letzten zwei Jahre ihres gedroschenen Lebens zugebracht hatte. Sie warf keinen Blick zurück. Sie wollte nicht zur Salzsäule erstarren.
(...)


27. Ertragen, düster und klar

(...)
Sehr geehrter Herr Kollege! Wir wollen doch hier keine Tiefenpsychologie strapazieren. Wir sind beide keine Therapeuten.”
Sehr geehrter Herr Kollege, meine Frage führt zu einem entscheidenden Punkt...”
Herr Kollege, das Wesentliche ist doch, dass dieser Mann nicht ist, was er vorgibt...”
Don Carmesi hatten das Bild zweier Fabeltiere vor sich, einen Geier und eine Krähe in Anzügen. Sie stritten miteinander um Hackordnung, um Fressordnung. Es war sein Körper, alles Oberflächliche seiner Erscheinung, seines Klangs, den die beiden fälschlicherweise für Aas hielten.
Daher wurde es Zeit, sich zu rühren und den beiden Vögeln Manieren beizubringen. Die Expertin zu seiner Linken versuchte es mit zögerlichem Räuspern und Handheben. Doch der Don schlug mit der Faust auf die Tafelrunde.
“Ihr Kerle solltet euch und eure Zungen hüten!”, rief er, mit noch wohlgezügelter Stimme. Die Angerufenen wandten sich ihm zu, mit professionell freudigem Gegaffe. 
(...)

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