An dieser Stelle endlich ein paar Leseproben, die einen kleinen Einblick in meinen Roman "Ein Mann von Almería" bieten, ohne zu viel zu verraten...
1. Nacht und Erwachen
1. Nacht und Erwachen
Die andalusische Nacht starrte auf blassen Kunststoff und zurück starrte ein Clandestino, ein inoffizielles Menschenwesen, mittellos und ohne Dokumente oder Rechte der Provinz Almería, über deren Staub er auf einem Plastiksessel hockte und die Tiefen seiner Erinnerungen maß. Er war einundfünfzig Jahre alt, sein krauses Haar bereits ergraut. Frühreife Falten durchfurchten die Gesichtshaut, die sich ledern über die kantigen Knochen spannte.
Ein Augenpaar:
Schwarze Perlen, von feinem, blutrotem Wurzelgeflecht umkränzt,
schwammen in dicker Milch. Sie glänzten in tiefen Augenhöhlen, im
Schein des nahen Lagerfeuers. Die dürren Finger, der von starken
Adern durchzogenen Hand, verkrampften sich an den runden
Plastiklehnen.
Ein befremdender
Gedanke ließ den Mann aufhorchen und erahnen, dass diese
schmerzenden Augen und Hände ihm selbst gehörten. Dennoch fühlte
er sie weit von sich entfernt.
Doch wessen waren
diese langen schweren Beine, deren Füße in ausgetretenen Sandalen
endeten, deren Knochen und Gelenke unzählige Meilen einen sorgenvoll
hoffenden Kopf getragen hatten. Die ihn so weit geschleppt hatten, um
in Südspanien angekommen und abgenützt allmählich zu verwittern;
umringt von den buckligen Bauten aus Karton, Plastik und Draht, aus
dem dieses Lager der irregulär Eingewanderten bestand?
Jenseits der
gewaltigen Sahara, mit ihren stäubenden Dünen im brennenden Wind
lag Finsternis und die Fußspuren, die durch sie geführt hatten,
waren längst verweht. Irgendwo waren auch die bis dahin nutzlosen
Papiere zu dieser Person verloren gegangen, etwa zu der Zeit, als sie
das Meer bereits hatte wittern können.
Hinter diesem
Meer, das der Mann überwunden, lag ein Grenzwall, den er damals mit
letzten Kräften erklommen hatte und es erschien ihm nun, als ob
dessen Stahldrahtgeflecht, gekrönt und ummantelt von künstlichem
Messergestrüpp, seinem Gedächtnis den Rückblick verwehrte.
Er richtete
seinen inneren Sinn ganz auf den stählernen Vorhang, doch blieb
dahinter alles unkenntlich; dort, wo ein anderes Ich desselben Mannes
in den Klingen hängen geblieben sein musste, der nun inmitten
riesiger Plantagenfelder festsaß und dem das Erinnern eine
unerträgliche Anstrengung bereitete.
(...)
2. Lauf mein Kind
(...)
(...)
2. Lauf mein Kind
(...)
Sancho
war fünfundzwanzig Jahre alt, lebte in einem beliebigen Örtchen
Andalusiens bei seiner Mutter in einer Betonschachtel und war süchtig
nach Computerspielen. Sein Geld hatte er üblicherweise als
Gelegenheitsarbeiter verdient, Ziegelsteine und Kabel schleppend auf
den Baustellen anderer Betonschachteln, die als gleichförmige, weiße
Bauklötze unterschiedlicher Größen über dem Land verstreut
wucherten. Manchmal hatte er auch einem guten Bekannten geholfen, die
Kundschaft für dessen Webdesign-Firma abzufertigen.
Als
das Immobilienblasenplatzen auch in Spanien den Schaumteppich in den
Sektgläsern zahlreicher Investorenabhängiger zum versiegen brachte,
verlor er zwar seine Teilzeitarbeitslosigkeit, wurde aber dennoch
nicht ganz unbeschäftigt.
Die
Gewinne mit Krediten auf Kredite, die mit Krediten auf andere Kredite
finanziert wurden, waren stets erstaunlich vielversprechend. Doch war
irgendjemand bei der ganzen Sache nervös geworden.
Dieser
Trottel war außerdem auf die äußerst dreiste Idee gekommen, einmal
nachzufragen: Wie viel waren die Immobilen, die man in großer Eile
aus den Küstengründen Spaniens herausgepresst hatte, wirklich wert?
Und hatte man diese durch den Kredit auf einen Kredit, der mit einem
Kredit auf einen anderen Kredit erworben war, grundsolide finanziert?
Ernüchterung
führt zwar meistens zu Kopfschmerzen, doch in diesem Fall hatte sich
der Fragende eine Alkoholvergiftung eingefangen und war auf der
Intensivstation wieder erwacht. Er hatte sich selbst aus einem
wunderschönen Traum geweckt.
Sanchos
Träume waren mittlerweile zu neunundachtzig Prozent von der World of
Warjoy erfüllt und diese konnten so bald nicht platzen, solange der
Empfänger des Internets warm blieb und Mama die Rechnungen zahlte.
Die
restlichen elf Prozent des sanchoschen Traumgeschehens wurden von
Alltagsverarbeitung ausgefüllt: Den abstrakten Wiedererscheinungen
beinahe zweckloser Jobsuche und ausdauerndem Weinkonsums.
(...)
9. Clubzwänge
und Nachtwege
(...)
Die lange,
silbrig glitzernde Dame hatte in der zwischenzeitlichen Abwesenheit
ihres widerstreitenden, geleckten Liebhabers und Zuhälters
beschlossen, ebenfalls in die Dunkelheit der Nacht zu entschwinden.
Ihr Name war Anja „Tall“
Titowa.
Was sie am
meisten an ihrem Partner hasste, war, neben seiner unberechenbaren
Gewalttätigkeit, die sporadisch auch sie traf, dass er ein
gewaltiger Trottel war. Die schmale, violette Schwellung unter ihrem
Auge schmerzte nicht mehr, verschwand mit ihr im Schatten des
Hinterhofs. Dennoch störte ein solcher, schwer zu überdeckende
Makel in ihrem länglich schmalen Gesicht bei ihrer Arbeit und damit
ihr Einkommen.
Mit seinen
spontanen Faust-Eskalationen behinderte er schließlich sein eigenes,
ihr gemeinsames Geschäft. Sei es beim Tanz, bei gewissen Freiern,
die er seine „besonderen Freunde“ nannte oder der gelegentlichen
Porno-Heimarbeit, die sie selbstständig übers Internet vertrieb.
Ihr nunmehriger Exfreund hatte von digitaler Arbeit und Verwaltung keine Ahnung. Sie überließ ihm das kassieren, musste es, dann hatte sie manchmal ihre Ruhe.
Ihr nunmehriger Exfreund hatte von digitaler Arbeit und Verwaltung keine Ahnung. Sie überließ ihm das kassieren, musste es, dann hatte sie manchmal ihre Ruhe.
Je mehr sie nun,
da sie ihm entfloh, über ihn nachdachte, umso größer wurde ihre
Wut darüber, was für ein schmerzhaft plumper Idiot der Kerl war.
Noch wütender wurde sie über die Idiotin, die sie selbst war.
Nun passierte sie jedoch den grünen Schimmer des Notausganges, den letzten Anblick jener heruntergekommenen, höchst renovierungsbedürftigen Bar, in der sie die letzten zwei Jahre ihres gedroschenen Lebens zugebracht hatte. Sie warf keinen Blick zurück. Sie wollte nicht zur Salzsäule erstarren.
(...)
Nun passierte sie jedoch den grünen Schimmer des Notausganges, den letzten Anblick jener heruntergekommenen, höchst renovierungsbedürftigen Bar, in der sie die letzten zwei Jahre ihres gedroschenen Lebens zugebracht hatte. Sie warf keinen Blick zurück. Sie wollte nicht zur Salzsäule erstarren.
(...)
27. Ertragen, düster und klar
(...)
“Sehr
geehrter Herr Kollege! Wir wollen doch hier keine Tiefenpsychologie
strapazieren. Wir sind beide keine Therapeuten.”
“Sehr geehrter Herr
Kollege, meine Frage führt zu einem entscheidenden Punkt...”
“Herr Kollege, das
Wesentliche ist doch, dass dieser Mann nicht ist, was er vorgibt...”
Don
Carmesi hatten das Bild zweier Fabeltiere vor sich, einen Geier und
eine Krähe in Anzügen. Sie stritten miteinander um Hackordnung, um
Fressordnung. Es war sein Körper, alles Oberflächliche seiner
Erscheinung, seines Klangs, den die beiden fälschlicherweise für
Aas hielten.
Daher
wurde es Zeit, sich zu rühren und den beiden Vögeln Manieren
beizubringen. Die Expertin zu seiner Linken versuchte es mit
zögerlichem Räuspern und Handheben. Doch der Don schlug mit der
Faust auf die Tafelrunde.
“Ihr Kerle solltet euch und eure Zungen hüten!”, rief er, mit noch wohlgezügelter Stimme. Die Angerufenen wandten sich ihm zu, mit professionell freudigem Gegaffe.
“Ihr Kerle solltet euch und eure Zungen hüten!”, rief er, mit noch wohlgezügelter Stimme. Die Angerufenen wandten sich ihm zu, mit professionell freudigem Gegaffe.
(...)
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