Montag, 5. Mai 2014

Glosse der Nice-Rice-Singlesung

(C) Claudia Mäser
Erste Publizierung eines Textes der Singlesung, am 28. 3. 2014, im Nice Rice, Wien, von Christian Edbauer und mir.

Eine namenlose Glosse 


Liebe per Internet finden? Kann passieren, wenn man Glück hat. Ich kenne da jemanden... Aber auch diese beiden haben sich im virtuellen Abseits gefunden, nicht bei einem breitbandigem Vernetzungsdienstleister für Einsame. War also in ihrem Fall auch wieder Zufall und das Setting im Cyberwald gewiss romantisch. Sie bedienten sich eines Rollenspiels, einer anderen Sprache... Sie begegneten sich also in der mehrfachen Fremde.

Andere suchen das Gegenteil: Die schnelle Klarsicht im Profil eines potenziellen Lovers. Gerade dadurch wird alles missverständlich. Auf der Suche nach der schnellen, einfachen Kommunikation überholen wir uns selbst und vereinfachen das Ziel bis zur Unkenntlichkeit.

Umgekehrtes babylonisches Sprachgewirr

Ansonsten macht diese angeleinte Welt deutlich, dass wir uns durchs Zeitalter eines umgekehrten babylonischen Sprachgewirrs tastenkürzeln. Unser Turmbau ist das Sozial-Simulations-Netzwerk. Verleitet nicht weniger oder seltener zu biblischen Selbstüberhöhungen.
Allerdings sprechen wir dabei alle die selbe Sprache. Wir denken sie nur unterschiedlich: Begriffsverwirrung in der raumlosen Wiege einer neuen Zivilisation. Oder: Eine neue Wiege einer virtuellen Zivilisation?
Wie auch immer – So viel Sprache, so viel Verwirrung. Beispiel: Es gibt vor allem Männer, die immer noch an die „käufliche Liebe“ glauben. Vor allem an jene über's Internet. Und der allgemeine Sprachgebrauch gibt ihnen ein fragwürdiges Recht dazu.

Werbung


Und in der Werbung heißt es mit Suche nach Pathos: Unser Rohstoff der Zukunft sind Ideen! Erinnert mich an die Matrix-Trilogie: Menschen als Batterien. Arbeitskraftvermarktend ist das schon seit Jahrtausenden Realität. Nur die Frage nach dem Umgang mit den verbrauchten Energieträgern beschäftigt uns neu.
Dennoch werden aus Ideen auch dann kein Rohstoff, wenn man sich eine Leitung ins Gehirn verlegen lässt, um sein G'scheitphone mit Strom zu versorgen.
Ehe Ideen Rohstoff sind, ist dieses Bier Rohstoff.
Da könnte man auch sagen: Unsere Pension der Zukunft: Bier! Oder: Unsere Schadstoffemission der Zukunft: Sprache! Oder: Unser Schwarz: Rot! Nun gut, das stimmt heute schon ein Bisserl...

Sprachlicher Reformstau


Der politische Reformstau dieser Tage und Nächte betrifft ebenfalls die Sprache: Es heißt immer noch „Regierung“ und noch nicht „Reagierung“. Warum nicht? Und warum „Parlament“ und nicht längst „Palaverment“, so wie es eigentlich heißen müsste? Reine Realitätsverweigerung! Und immer dann, wenn jemand seine oder ihre stark bedrängt sieht, heißen „Ansichten“ nur noch „Werte“. Vor allem dann, wenn sie sich überhaupt nicht mehr halten lassen...
Rassismus, Sexismus,
Nationalismus, Faschismus... Von der Praxis zur Ideologie, von der Ideologie zum Wert... Ist nur noch eine Glaubensvorstellung, reden wir nicht näher darüber... Ich bin kein Wirtschaftsliberalist, ich glaube nur, dass es auf den Finanzmärkten keine Regeln für jene geben sollte, die nach möglichst viel Geld gieren. Ist nicht meine Meinung. Aber ich habe da gewisse Werte...

Situationselastisch

Vermutlich muss man angesichts dieser Sprachweichspülung nur „situationselastisch“ sein, wie uns ein Mann namens Klug erklärt, wenn seine Lehnsherren nichts erklären wollen. Wisst ihr was noch situationselastisch ist? Richtig: Ein Arschloch. Vielleicht musste er deshalb grinsen, als er es sagte, denn er wusste: Egal welche Scheiße den Pressekanal runtergerutscht kommt, das ist alles, was bei euch, beim Volk landet.

Republik des Volkes?

Apropos: Die Volksrepublik China! Das war
einmal eine Diktatur. Wird nur noch selten so genannt.
Was hat sich geändert? Die Berichterstattung.
Die konzentriert sich zur Zeit wohl eher auf Russland.
Schließlich ist China mittlerweile reich. Das heißt, nicht ganz China, sondern eine üppige, aber relativ kleine Elite, deren enormer Reichtum und Luxus von
mehreren hundert-millionen Arbeiterinnen und Arbeitern, ohne faire Rechte oder Löhne, erschuftet wird.
Und
ausgerechnet diesen herrschenden Parteien-Geldadel nennt man Kommunisten!? Dabei ist der Kommunismus eines der Dinge, die sich mit der zu zwei Dritteln us-amerikanisch initalisierten Wirtschaftwundertüte in China tatsächlich geändert haben: Von der gleichmäßig verteilten Zwangsherrschaft zur einseitig gewichteten Ausbeutung; von einem kommunistischen Einparteienregime zu einer Chimäre: Kapitalkommunismus... oder Kommunalkapitalismus.Gut, beides war und ist ultra. Aber die mediale und alltägliche Sprache scheint einen Bogen um diese wunden Punkte unserer Konsumgesellschaft zu machen.
Ich sehe schon ein, dass alles lohn-billger werden muss, wenn
zugleich alles teurer wird... um ja nicht zu sagen, dass alle weniger Einkommen haben... um ja nicht zu sagen, dass ich mit „alle“ nur fast alle meine... um eh nicht zu sagen, dass eine kleine, pseudoelitäre Gruppe immer reicher wird – weltweit verteilt

Smartphones und Bananen

Das würde sich nach Klassen-Kampf anhören und dann käme wieder der Kommunismus-Verdacht auf. Keine Sorge: Der hat auch bei mir ausgeschissen. Denn was ist kapitalistischer Konsumwahn anderes als
kommunalisierte Gleichschaltung auf Umwegen? Gut, im Osten gibt’s jetzt auch Bananen... Eines von vielen Symbolen der Freiheit.

Wir sehen weltweit Smartphones und Tablet-PCs in den Händen grinsender Teenager und glauben schon an Wohlstand, Freiheit und Demokratie. Selbstverständlich tragen ostasiatische* Kids die selben Klamotten wie wir. Sie nähen sie ja auch selber.Aber darin sind wir gut: Im bescheuertem Marketing, im Sprache ad absurdum Führen, im wahnsinnigen Fortschritt nertzwerkender Medien. In der Sahelzone verhungern immer noch die Menschen. Und selbst in weiten Gebieten der US of A sind Menschen auf internationale Hilfsorganisationen angewiesen. Aber dort lässt sich das eigene Elend wenigstens mit dem ganz gescheiten Handy filmen. In China mittlerweile auch. Deshalb wächst dort auch der Wohlstand ganz von alleine. Kannst du zwitschern, bist du frei. Ich share, also bin ich. Wer braucht da eigentlich noch Freiheit und Demokratie? Die Bananen kann man sich auch online anschauen.

Wurschtrepublik


Ich frage mich: Wenn China eine sprachlich anerkannte Volkrepublik sein soll, was ist dann unsere Österreichische Republik? Nein, keine Bananen-Republik. Eine Wurscht-Republik! Bei uns ist doch viel zu Vielen viel zu Vieles einfach wurscht. Die Demokratieskeptiker fordern ihren Platz in der Berichterstattung: Dazugewonnen hat die Gruppe der Nichtwähler!? Unsinn! Da gibt es nichts zu gewinnen, sagen die Nichtwähler doch selbst! Und allein deren politische Gruppierung... Das ist, als würde man am Ende eines Skirennens, nachdem die Plätze der Beteiligten aufgelistet wurden, auch noch sämtliche Skifahrerinnen dieser Erde aufzählen, die überhaupt nicht teilgenommen haben.
Nichtwählen als Protest? Geh!
Bitte! Zuhause sitzen und nichts tun? Davor wird sich das Establishment aber fürchten. Die Forderungen dieser Protestierenden hört niemand. Was passiert? Man mischt sämtliche Protestnichtwählerinnen in die statistische Wurschtmasse all jener, die einfach nur zu faul zum Wählen sind... Oder zu blöde... Neben der Wahlbeteiligung sinkt auch die Anzahl gültiger Stimmen bei gleichzeitig steigender Anzahl abgegebener Stimmen (wegen der Zunahme Wahlberechtigter).

Mein Wahlsonntag

Und was mich wirklich ärgert: An jedem Wahlsonntag krieche ich
viel zu früh aus dem Bett, schleppe mich in jedem Gesundheitszustand, mit jedem Kater ins noch so weit entfernte Wahllokal. Mit letzter Kraft robbe ich in die Wahlkabine, erklimme der Ohnmacht nahe das Schreibpult.Mit schwindenden Sinnen versichere ich mich, in meinen Gedanken ans Scheißhaus, über dessen Abfluss ich mich gerne übergeben würde, nicht irrtümlich mein Kreuz bei der FPÖ gemacht zu haben. Mach dann das Kreuzerl bei den Grünen... Lasse mich nach draußen tragen.
Währenddessen in der Wohnung über dem Wahllokal ein Typ auf seine
m Spielcomputer Meschen-Imitate niedermetzelt. „Mich g’freut’s nicht! Bringt eh nix!“
Und seine Mitbewohnerin bestätigt: „Würden Wahlen
etwas bringen, wären sie verboten!“
Verdurstende in der Wüste die eine kleine Wasserlacke entdecken: „Na
aa, ich bin zu müde zum Trinken. Bringt ja eh nix, viel zu wenig, vermutlich vergiftet...“ Und seine Leidensgenossin bestätigt: „Würde Überleben etwas bringen, wäre es verboten!“

At the zoo

Das erinnert mich an Pandabären, die zu faul oder blöde zum Ficken sind, um ihre eigene Gattung vor dem Aussterben bewahren... Pandabären mit Wohlstandsproblemen!
Das muss man sich mal vorstellen.
Da mag ich mich nicht fortpflanzen, das schauen doch alle zu, außerdem hab ich mich mit Bambus überfressen! Wir retten die Spezies morgen.“ Und in der Sahelzone verhungern die Menschen.

Ich weiß... Drastische Vergleich
e... Aber ich darf das, ich bin betrunken! Demokratie ist ein Mannschaftssport, verdammt nochmal!
Andererseits: Vielleicht haben die
Nichtwählerinnen wie die Pandabären einfach erkannt, dass sie Gefangene in einem riesigen Zoo sind. Vielleicht haben sie Recht mit ihrer Resignation?

He, Chris! Hast du nicht
noch ein Lied für mich?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Schreib dich aus