Montag, 22. Juli 2013

Die Naivität der Anderen (in der Rede- und Schreibkunst)

Ein immer wiederkehrender Vorwurf, den Autor_innen hier und da äußern, ist jener der Naivität anderer (Denkender). Genauer: Wer irgendetwas glaube, dass der Autor_innen-Meinung entgegensteht, sei naiv.
Ein solcher Satz scheint mir nicht nur als Mittel gedacht, auf einen vorausgesetzten Fehler anderer hinzuweisen, sondern vor allem (und meist bereits im einleitenden Vorfeld des Textes) um die eigene Position zu stärken, indem man ein Gegengewicht zum eigenen konstruiert, das dieses, dank der Hebelwirkung der Rhethorik, erhebe.

Man dürfte also annehmen, dass die naive Meinung anderer automatisch die Richtigkeit der eigenen untermauere; ganz so, als ob Naivität das Gegenteil von Wahrheit wäre: Ein seltsamer Dualismus.
Zugleich scheint mir dieser figurative Vorwurf der Naivität auch eine rhethorische Abmilderung, der in Wirklichkeit (nur) gedachten Formulierung, zu sein: Wer nicht meiner Meinung ist, irrt sich. Was man natürlich nur mit dem hohen Risiko schreiben könnte, leicht und rasch widerlegt zu werden.

Denn hierbei würde die (dualistische) Gegensätzlichkeit durchaus stimmen. Entweder meine Position ist richtig oder falsch. Sprich: Wenn ich behaupten kann, dass die andere Meinung blöde ist, könnte sich die Betrachtung womöglich umkehren lassen und daraufhin meine Meinung sich als blöde (oder umso blöder) herausstellen.
Bin ich mir ihrer aber nicht vollkommen sicher, behaupte ich nur indirekt, sie sei (unwiderlegbar) richtig und muss zu diesem Zweck auch indirekt voranstellen, dass eine (mögliche) gegenteilige Positionierung zu meiner falsch wäre. Dazu bedient man sich gerne des Begriffes der Naivität.

Die Meinung der Anderen – die in den meisten Fällen der Anwendung dieser Rhethorik ein Vorurteil ist – wäre nicht falsch oder schlecht, sie wäre nur naiv. Man würde den so Meinenden damit auch keine böse Absicht unterstellen, nur ein Bisschen natürliche Dummheit, quasi einen Hausunverstand (bzw. Leichtgläubigkeit aufgrund mangelnder Erfahrung oder Denkschwäche).
Träte das Schlimmste ein und der Umkehrschluss auf die gegenüber gestellte, eigene Meinung würde anwendbar, so wäre man selbst nur ein wenig naiv oder dumm, dies aber nicht aufgrund vorsetzlicher Manipulationsabsichten oder Lüge, sondern völlig unschuldig und unbeabsichtigt - so scheint man zu glauben

Ein Trugschluss: Da man bereits die rhethorische Figur dieses Naivitätssatzes zumindest in halber Absicht anwendet, könnte man die Vorsetzlichkeit einer falschen Positionierung, die damit zusammenhinge, nicht mehr abstreiten. Man würde mit ihr rechnen (müssen).
Doch stellte sich die eigene Meinung als falsch heraus, wäre die dieser gegenüber gestellte (konstruierte) Naivität der Anderen diesbezüglich ohnehin ohne Einfluss. Wer meint, die Naivität anderer würde die eigene Aussage automatisch in etwas Richtiges oder Weises (oder den eigenen Text in etwas Gutes) verwandeln, irrt sich von Grund auf.

Sprich: Die Beschreibung der Kondition von Erfahrung und Denken anderer Menschen ist kein Beweis für die Richtigkeit einer anderen (also diese Beschreibung nicht betreffenden) Aussage (sofern die Beschreibung der Kondition überhaupt mit Beweisen belegt wäre). Dies ist auch ein Grund, warum Wahlkampf-Rhethorik zu Recht sprichwörtlich aus heißer Luft besteht.

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