Montag, 10. Januar 2011

Allgemeines Gefahrengut für (echte) Demokratien

Als Platoniker bin ich (einstweilen noch) überzeugt, dass die Demokratie nicht die beste, sondern die sicherste Staatsform ist, um den Willen und den Vorteil möglichst vieler Mitglieder zu organisieren. Anfälliger, für Tyrannei und Machtmissbrauch, sind die Staatsformen des Führertums und der Oligarchie. Aber anfällig ist auch die Demokratie, beispielsweise wenn kommerzielle Unternehmen, große Konzerne, vor allem jene der Finanzwirtschaft, mit Hilfe der von ihnen kontrollierten Medien (siehe insbesondere FOX in den USA), die demokratische Politik unterminieren, manipulieren und nach ihren Wünschen formen; wenn die Reihen der gewählten VolksvertreterInnen allmählich durch Marionetten ersetzt werden.

Ausgangspunkt der Schwächung der modernen Demokratie – die hierbei natürlich nicht mit der athenischen Sokrates und Platons zu vergleichen ist –, ist, meines Erachtens, die ungleiche Verteilung der Verantwortung für den Staat, die seine einzelnen Mitglieder tragen. In Österreich wird einem volljährigen Mann, der sich, nach positiver Überprüfung seiner Tauglichkeit, weigert den Wehr- oder Zivildienst zu absolvieren, mit schwerer Strafe gedroht. Seine Verantwortung gegenüber dem Staat ist vergleichsweise gering. Theoretisch werden auch Staatsangestellte, bei Amtsmissbrauch, mit Strafe bedroht (§302 StGB [Österreich]: mit „einem bis zu zehn Jahren“ Freiheitsstrafe), in der Praxis wird der Beamte lediglich vom Dienst „suspendiert“ oder es wird sein freiwilliger Rücktritt erbeten – dies vor allem in Fällen von Parlamentsabgeordneten, noch bevor deren Immunität, vor strafrechtlicher Verfolgung, aufgehoben wird. Diese Maßnahmen werden, zumindest in meiner Heimat, offenbar nicht von Judikative oder Exekutive, sondern von den jeweiligen Parteien gesteuert, denen die betroffenen PolitikerInnen angehören. Im Fall des Wahlbetrugs im Burgenland, trat der Täter, der ehemalige Bürgermeister von Unterrabnitz, zurück. Weitere Konsequenzen sind mir nicht bekannt.

Natürlich kann man dies als juristische Detail-Problematik, als das Untersuchen von System-Einzelteilen, betrachten, aber - abseits ihrer juristischen Komplexität - zeigen sich dadurch, selbst in stolzen Rechtsstaaten wie Österreich, die Unterschiede in der Rechtssprechung und Exekution, zwischen jenen Individuen mit wenig und jenen mit viel Macht im Staat. Dabei scheinen jene mit viel Macht, die durch diese naturgemäß auch viel Verantwortung tragen, bei Machtmissbrauch geringer und seltener bestraft zu werden, als jene mit weniger Macht und daher weniger Verantwortung (gegenüber den Belangen der Gemeinschaft des Staates).

Nun fügt sich zu diesem Ungleichgewicht unter den StaatsbürgerInnen, dass private Unternehmen in der Lage sind, sich über staatliches Recht hinweg zusetzten und, indem sie international agieren, auch die Verantwortung, gegenüber ihren Gründungsstaaten und deren Gesellschaften, umgehen können. Eine internationale Organisation, die es schafft, private, kommerzielle Unternehmen, gleichsam unter ein Rechtssystem zu stellen, gibt es nicht. Unternehmen, die als juristische Personen gelten, werden – wo sie registriert sind – wie StaatsbürgerInnen bestraft. Sie zahlen, im Falle von Verurteilungen, hohe Geldstrafen – die sie sich in der Praxis leisten können – und können mit ihren Geschäften fortfahren, egal wie viel Macht, und damit Verantwortung, sie durch diese erlangen; eine juristische Person trägt auch kein Amt, durch das es, im Falle von Missbrauch der ihm eigenen Macht, insbesondere bestraft und seiner Tätigkeit und Macht enthoben werden könnte. Dennoch ist der Einfluss auf das Wohl einzelner Staaten, den bestimmte Unternehmen haben, enorm, sodass es ungenügend ist, etwa manche starke Aktiengesellschaft juristisch als private Einzelperson zu betrachten.

Ich bin überzeugt, dass die größte Gefahr für die verbliebenen, echten Demokratien dieser Menschenwelt darin besteht, dass AkteurInnen privater Unternehmungen vielerlei Form, im Freiraum der internationalen Geschäftemacherei, eine Parallelgesellschaft bilden, die weitgehend ungebunden, gegenüber den Gesetzen und der Verantwortung einzelner demokratischer Staaten, handelt. Gruppierungen, wie jene extremistischer Religionen, die lediglich versuchen, innerhalb eines Staates als Parallelgemeinschaft zu existieren, sind eine geringe Gefahr; sie müssen innerhalb des jeweiligen Staates agieren und deshalb muss ihre Isolierung scheitern. Große Unternehmen können über den Staat hinaus agieren, sie können, in ihren Netzwerken, tatsächlich parallel zu Staat und Demokratie existieren. Das ist ein Ungleichgewicht von Macht und Verantwortung, das sich der „klassischen“ Ungleichheit von mächtigen und ohnmächtigen BürgerInnen hinzugesellt. Eine Dreiheit entsteht, in der schwache BürgerInnen, starke BürgerInnen und mächtige, aber ungebundene Unternehmen, ein neues Gesamtsystem ohne funktionierendes Regelwerk, bei ungeregelten, uneinsichtigen, aber dennoch vorhandenen Abhängigkeiten, erzeugen; dies ist Ungerechtigkeit zu nennen und auf solcher kann kein (demokratischer) Staat bauen.

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