Dienstag, 17. November 2009

Arigona, Sokrates und H.C.

Vor über 2300 Jahren schrieb Platon seinen „Gorgias“, in dessen Dialoge sein Lehrmeister Sokrates die Redekunst der Sophisten als „Schmeichelwerk“ entlarvt, das ohne das Geleit von Kenntnis und Vernunft nicht nur wertlos, sondern ebenfalls gefährlich ist. Nebenbei erstellte er seine höchsten moralischen Gesetze, die im Grunde jene der „Christlichkeit“ (nicht aber des Christentums) vorwegnehmen. Moral beruht hierbei nicht auf sittlichen Empfindungen (wie sie es heute meist tut), sondern auf den Erkenntnissen der Philosophie.

2399 Jahre - und ein paar Zerquetschte - später, sitzt eine Gruppe von Diskutanten in der Live-Sendung „Im Zentrum“ des ORF, redet über die erwartete Abschiebung Arigona Zogajs und das damit verbundene Fremdenrecht bzw. Asylgesetz. Die Fakten, die gegen die aktuelle Asylpolitik der Regierung angeführt wurden, stammten nicht nur von Caritas-Präsident Franz Küberl oder Josef Friedl, dem Pfarrer von Ungenach und „Betreuer“ Arigona Zogajs, oder Alev Korun von den Grünen; ebenso Georg Kapsch, der Präsident der Industriellenvereinigung, der Bevölkerungswissenschaftler Rainer Münz, sowie der ÖGBler Rudolf Kaske fanden auf unterschiedlich Wegen und über verschiedene Aspekte zur Gewissheit, dass die gesamte Zuwanderungspolitik zugunsten von Einheimischen und Zuwanderern verbessert werden muss, und zwar per Kooperation, Partizipation und Gerechtigkeit im Sinne des Humanismus. Direkt oder indirekt wurde von beinahe allen Beteiligten die Abschiebung der Zogajs und ähnlicher Fälle abgelehnt und verurteilt.

Die heroisch-einsame Ausnahme stellte natürlich H.C Strache, Berufsrhetoriker und Chef der FPÖ, dar. Er bemühte sich über die ersten 10 Minuten um eine stoische, objektive Haltung, musste jedoch zunehmend in die bekannte Emotionalität verfallen, die er jedoch meisterhaft mit seiner Redekunst zu kanalisieren wusste. Doch auch seine Methode (neben dem üblichen Gekritzel ins Notizheft, das die KontrahentInnen verunsichern soll, während sie sprechen), Schlagwörter seiner Vorredner immer wieder aufzugreifen, um sie im Sinne seiner Meinung umzudeuten – in einem raschen Schwall skurriler Behauptungen – half nichts: Die logischen Argumente der übrigen, fach-kenntnisreichen Sprecher, die unwiderlegbaren Fakten, vernichteten den Sinn jeglicher Argumentation des Rechtspopulisten Strache – bis auf jene, dass das Bildungssystem zugunsten von Einheimischen und Migranten verbessert werden muss; was er allerdings thematisch und inhaltlich, vor allem von Alef Koruns kurz davor gehaltener Argumentation, letztlich kopierte. Zum Ende hin konnte der Stra-Che nur noch mit persönlichen Angriffen auf seine Gegenüber antworten, der Höhepunkt seiner Erbärmlichkeit, die sich vor der Kenntnis der ihm gegenübergestellten Expertise offenbarte. Das Licht der Vernunft vertrieb den Schatten des Volkshetzers.

Es zeigte sich, wie Platon bereits beschrieb, dass ein Rhetoriker wie Strache, der zwar Macht über die Kenntnislosen hat, weil er ihnen zu schmeicheln und sie zu verführen weiß, an den Kenntnisreichen scheitern muss. Da zeigt sich weiters die bisher zuwenig wahrgenommen Verantwortung der größeren Medien, sowie der Politik: denn die in der Diskussion angeführten Fakten sind bereits seit langem bekannt, doch werden sie dem Großteil der Bevölkerung, über dessen meist konsumierten Medien, nicht zugänglich gemacht. Kronen Zeitung und ORF schaffen es nicht zu bilden, lassen Informationen absichtlich oder aus Fahrlässigkeit unausgesprochen, die so wichtig wären, um die Verführungen der FPÖ- und andrer Demagogen einzudämmen.

Noch ein Effekt, der den in Sokrates wurzelnden Platonismus bestätigt, wird erkennbar: Es wurde in der Runde bestätigt, wie die Politik der Rechtspopulisten jenen schadet, die sie behauptet vor „denen da oben“ zu beschützen. In Wahrheit ist die Politik der FPÖ (und vergleichbarer Parteien) eine Interessenvertretung skrupelloser Pseudo-Eliten; die Mehrheit von den wesentlichen, politischen Themen ablenkend, das Lohnniveau der notwendigen Arbeitsimmigranten durch Kriminalisierung und Unterdrückung gering haltend, dem Staat und der Wirtschaft auf diese Weise schadend. Und im Grunde sagten alle Beteiligten damit aus, dass auch die Politik der aktuellen Regierung, die behauptet alles gegen die Wirtschaftskrise unternehmen zu wollen, vielmehr der Wirtschaft durch ihre Zuwanderungspolitik schadet! Und der Pfarrer Friedl weiß, dass eine Lösung für Arigona und die anderen Zogajs am tiroler Wahlkampf scheiterte. Der Gewinn an Macht wird alles Gute und jede Moral geopfert.

Die kenntnislose Redekunst, die nur darauf bedacht ist, Wählerstimmen zu erschmeicheln, ist dadurch genauso schädlich, wie Sokrates und Platon es vor so langer Zeit beschrieben. H.C Strache und seinesgleichen sind wie Zuckerbäcker, die sich als Zahnärzte ausgeben und dem Diabetiker Süßigkeiten verabreichen. Die Süßigkeiten des Rechtspopulismus schmeicheln dem Gaumen, aber schaden dem Kranken: Die Wahrheit kann den Kranken und den Rechtspopulisten heilen, doch meidet er ihre Schmerzhaftigkeit.

Hoffen wir nur, dass wir, die wir die von Sokrates entlarvte Gefahren der Schmeichelkunst erfahren, nicht, so wie er und sein Schüler Platon, den Niedergang unseres eigenen Staates miterleben müssen.

Zum Nachsehen der erwähnten Sendung gibt es diesen (hoffentlich aktuellen) Link!

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