Freitag, 30. Oktober 2009

ÖVP-Demagogie in den Tagen der Studentenproteste

Es ist zwar nicht recht, aber durchaus billig, wenn ÖVP-Generalsekretär Fritz Kaltenegger die Studentenproteste, mit ihren Hörsaalbesetzungen, als “Partys” bezeichnet, die auf Kosten der hart arbeitenden Bevölkerungsschicht gefeiert werden. Seltsamerweise erwähnte ausgerechnet er von diesen fleißigen Steuerzahlern explizit Gruppen, die man üblicherweise als Klientel des Koalitionspartner betrachtet, wie beispielsweise die schweißgebadeten Stahlkocher der VÖST. Doch hat er nichts zu verlieren, denn mit seiner kleinkarierten Demagogie, die beim Großteil seiner Zuhörer trotz ihrer Kurzsichtigkeit wirken wird, spielt er Bevölkerungsgruppen gegeneinander aus, um die sich seine Partei traditionell nie sonderlich gekümmert hatte - es sei denn sie saßen hier oder da in der Chefetage.

Die Kleinkariertheit seiner geschickten, aber ignoranten Ansprache, drückt sich auch in den tatsächlichen Relationen aus, die hinter seinen Anschuldigungen stecken. Es wird zum größten Teil im besetzten Audimax, in Wien, unentgeltlich gearbeitet; zu einem vergleichsweise geringen Teil wird das Erreichte wohlverdient gefeiert (meist feiern ohnehin nur die Besetzungstouristen, während die eigentlichen Besetzter die Schaulustigkeit zu organisieren versuchen). Und die Kosten, die der Protest verursacht, sind ebenso lächerlich, wie der Zuschuss, den Hahn plötzlich aus einer Seitentasche seines Ministeriums zu beuteln vermag. 100.000 Euro geschätzter Protestschaden? Dafür, dass die Arbeitsgruppen der StudentInnen die eigentliche Arbeit ihrer Übergeordneten leisten, indem sie an Problemlösungen arbeiten? 34 Millionen Euro zusätzlich für sämtliche österreichische Universitäten? Ich bitte sie: Soviel wie die Studierenden vergleichsweise in der kurzen Zeit organisiert und herausgearbeitet haben, ohne dafür bezahlt zu werden, schaffen die meisten PolitikerInnen dieses Landes im Laufe ihrer gesamten Karriere nicht, egal wie viel man ihnen bezahlt. Das gilt nicht weniger für die Banken- und Börse-Spekulanten, die mit ihren simplen Finanz-Computerspielchen andere ins Unglück stürzen.

Doch während das eigentliche Klientel der ÖVP, die Spekulanten des Banken-Wanken, die teilweise meinten, dass sie es gar nicht notwendig haben, 50 Milliarden Euro an Spendengeldern zur Verfügung gestellt bekommen, erhalten die Universitäten einen Bruchteil davon - woran der neueste hahnsche Zuschuss auch nichts ändert. 34 Millionen! 100.000! Für solche Beträge unterbrechen österreichische BankerInnen nicht einmal ihre Raucherpause.

Wer erkennt, dass angeschlagene Banken staatliche Unterstützung benötigen, weil die Stabilität des Finanzmarktes an ihnen hängt; müsste im Grunde auch die keinesfalls geringere Wichtigkeit funktionierender Universitäten verstehen; und wenn das der Fall ist - wie selbst der Bildungsminister einen glauben lässt -, so verstehe ich nicht, warum die Universitäten nicht die selbe Unterstützung erhalten, wie die Banken. Vielleicht will man weiterhin das akademische System Österreichs - ähnlich wie das Sozialsystem - von schlecht bezahlten oder freiwilligen, aber dafür motivierten, Angestellten und Studierenden tragen lassen? - Weil man glaubt nicht helfen zu müssen, solange die Unteren den Laden mit Tapferkeit, Verzweiflung und Ideenreichtum am Leben erhalten. Aber wenn dem so ist, sollten ÖVP-Demagogen nicht gegen jene jungen Menschen wettern, ohne die das in ihrer Verantwortung stehende Regierungs-Ressort noch erbärmlicher aussehen würde, als es jetzt der Fall ist. Warum Kaltenegger es dennoch tut, kann man nur mit seiner Ambition erklären, sogenanntes politisches Kleingeld zu machen, die er wiederum seinem Kanzler und Koalitionspartner unterschwellig vorwirft, indem er ihn seiner eigenen Methoden nachzugehen “verdächtigt”.

Donnerstag, 29. Oktober 2009

Das hahnsche Symptom als obentmannter Sündenhammel

Genug der Hahn-Wortwitze. Der Name ist so witzlos wie sein Besitzer. Und nun ist er weg vom Uni-Fenster, obwohl er dort nie war, weil er stets hinter seinem Briefbeschwerer hocken musste und sich beschweren lies. Weggeködert (die WortwitzlerInnen können das meinetwegen mit Hühnerfutter assoziieren, wenn sie wollen) - ins EU-Kommissariat! Eine alte politische Posse, zahlreich angewendet und anwendbar: Wir lösen das Problem, indem wir einen Sündenbock losschicken, mitdem wir es uns aber auch nicht verscherzen wollen, weshalb wir ihn nicht in die Wüste schicken, sondern ihm den Weg zum Hofe des Kalifen weisen. Dort kann er auf ein prestigträchtigeres, goldenes Sesselchen hoffen, anstatt sich im heimischen Oasenkaff das Gejammer seiner untergebenen Stammesgelehrten anhören zu müssen. Allerdings hatte Hahn übersehen, dass er des neuen EU-Postens wegen, leider sein Doppelamt in Wien aufgeben muss. Das Ministerium lässt er ja gerne hinter sich, bei all den frechen Studierenden, denen er da begegnen muss. Auch die zwei Bundeskanzler freuen sich, wenn er endlich weg ist, weil sie die Gründe für die Studierenden-Proteste genauso wenig verstanden haben, wie der Hahn selbst und deshalb ihn für das personifizierte Loch in Budget und Qualität der Universitäten halten. Aber leider muss er zu aller Ministerials-Erleichterung auch noch in der Wiener VP ob-entmannt werden. Das tut doch weh, und so wird aus dem (vielleicht freiwilligen) Sündenbock letzlich ein Sündenhammel.

Es ging – jenen die Ahnung hatten – schließlich bei den Protesten nicht um Hahn als politische Einzelperson, sondern vielmehr als politisches Symptom (Obwohl er es als Einzelperson besser machen hätte können, den als solche hatte er Potenzial). Denn: Zuerst lässt er die Studierenden im Stich, die nun, zeitgleich protestierend, für ihn gratis Problemlösungsansätze durcharbeiten – also seinen Job machen. Hernach, sobald er erkennen muss, dass er nicht versteht worum es geht, flieht er durch das politische Hinterzimmer geradewegs nach Brüssel.

Ein guter Minister für Bildung-und-alles-was-dazugehört hätte zuerst für ein besseres System und danach auf Seiten der protestierenden Studierenden gekämpft – niemals hätte er das sinkende Schiff verlassen, das er seit Jahren vermeintlich mitsteuert. Aber nein, der Herr muss es seinen Herren recht machen, um nur nicht seine Karriere zu gefährden, selbst wenn er sie dadurch in die Absurdität führt. Er flattert davon (als bewusste Anspielung auf seinen Namen) und muss dringend mit seinem zukünftigen Präsidenten Barroso plaudern. Vielleicht verbiegt der liebe Onkel von der Europäischen Volkspartei für ihn ja ein paar Regeln der Kommission, damit Hahn weiterhin Obmann der Wiener Volkspartei bleiben kann. Daheim in Österreich, bei seinen Kanzlern, würde so etwas gehen – da ist man provinziell genug. Weshalb die hiesigen Freunderl auch so ein Musterstück (wie Hahn es leider geworden ist) heimischer Politikkultur nach Brüssel schicken.

Sonntag, 25. Oktober 2009

100000 Euro: Materialismus gegen Idealismus.

Aus dampfenden Feuerhallen der Uni-Wien heraus getreten, und selbst immer noch dampfend: In dieser holden Zeit, und gewiss die Jahrhunderte vor dieser hindurch, sich stapelnd, funktionalisierend zu seinen Höhepunkten hin, wird der Materialismus als Ideal verstanden und als „das Finanzielle“ umschrieben. Die Anbeter des Finanziellen sagen nun, dass durch die jüngsten Proteste der StudentInnen an österreichischen Unis, vor allem im und um das Audimax in Wien, Schäden im Umrechnungswert von 100.000 Euros entstanden.

Doch zum Einen ist das ein lächerlich geringer Betrag: Jede österreichische Bank kann ihn im Bruchteil einer Sekunde verspekulieren, ehe sie vom Steuerzahler errettet werden muss. Zum Anderen handelt es sich nicht um einen „Schaden“, sondern um eine Investition in die studentische und demokratische Kultur, die in den letzten Jahrzehnten so stark beschädigt wurde. Man kann es als Refinanzierung betrachten, als Nutzungs- und Abnutztungskosten, die der Staat übernimmt und wofür die StudentInnen zusätlich und gratis an Problemlösungen für die Universitäten arbeiten. 100.000 Euro für eine solche, österreichweit wirksame Kulturförderung ist äußerst günstig (Die Salzburger Festspiele beispielsweise bekommen weit mehr und kultivieren weit weniger Menschen, und wenn, dann für eine Kultur der Bonzen und Bonzinnen – Kaviar und Sekt im Geländewagen). Minister Hahn und seine Kollegen sollten sich freuen.

Worin liegt nun die Diskrepanz, die bei manchen ein Missverständnis für solche Studentenproteste und Uni-Besetzungen auslösen könnte, und die manche Pseudozeitungen für Sensationsgeile und geistig Verarmte dazu veranlassen, sämtliche Protestierende automatisch als links-Linke zu verunglimpfen? Antwort: Die Politik ist schuld. Ja, wirklich. Die politische Kultur hat sich selbst verunmöglicht, weil Hahn & Co lediglich materialistisch denken und argumentieren können und es gerade deshalb nicht schaffen, den Erfordernissen des Materialismus gerecht zu werden. Gleichzeitig wurde der Begriff, der dem Idealismus zugrunde liegt, das Ideal, die Ideale, im Sprachverständnis zu einem Synonym für Aberglauben. Menschen mit Idealen seien nicht realistisch, heißt es. Doch sind Ideale die Produkte der auf Vernunft basierenden Philosophie – und was wäre der Bildungsminister ohne diese? Seiner Masken entledigt vermutlich. Das Finanzielle, das Minister aller Farben jedoch als ihr einziges Maß betrachten, entsteht in seiner Betrachtung aus einfachen Notwendigkeiten, deren Erfüllung den IdealistInnen – die das Audimax für ihre Ideale besetzten – dienen sollte. Es war nie dazu gedacht, und wahrlich meine ich gedacht, dass die Ideal-Produzenten eines schlimmen Tages dem Materiellen zu dienen hätten. Und doch: Dieser schlimme Tag liegt längst hinter uns und die Politik hat es nicht verstanden, hat nicht verstanden, dass es ohne Ideal keinen Sinn für das Material, das Materielle gibt. Ohne IdealistInnen – wie jene protestierenden „links-linken“ StudentInnen – gäbe es nicht einmal „das Finanzielle“ selbst und vor allem keine sinnvolle Finanzierung.

Das Materialisten ohne Ideale nur sich selbst oder zumindest anderen Schaden zufügen (der weit über 100.000 Euro liegt), beweist die Wirtschaftskrise, die ein Heer gedankenloser Ex-Akademiker-Affen mit billigsten Casino-Spielchen sich schaffte. In Österreich lautet die politische Devise: Zuerst wird gespart und dann schauen wir, welche Qualität übrig bleibt. Das ist Unsinn, denn wenn man in mehrern Schritten auf das hehre Ziel qualitativ hochwertiger Universitäten zugehen will, sollte der erste Schritt nicht den zweiten unmöglich machen.
Zuerst muss man sich fragen, wie man die Universitäten besser machen kann und danach, wie man diese Verbesserung finanzieren kann. An etwas anderes sollte man erst denken, wenn man keine andere Wahl hat. Österreich ist die Wahlfreiheit gegeben und es ist deshalb unnötig die letzte Wahl zur ersten zu machen. Wenn der Körper das Gehirn steuert, fällt der Körper auf die Schnauze und das Gehirn verhungert.

Dienstag, 20. Oktober 2009

Fairtrade für EU-Bauern

Müssen europäische Milchbauern bald Fairtrade-Mitglieder werden? Als wäre die EU ein Entwicklungsland in den Fängen internationaler Konzerne, mit einem korrupten Regime anstelle einer Regierung, werden von der EU 280 Millionen an die Bauern geschenkt, anstatt für gerechte Preise zu sorgen. Vielleicht damit die Milchproduzenten endlich mit den Protesten aufhören? Als Bestechung sozusagen.

Aber woher kommen diese Millionen überhaupt. Leerte Agrar-Kommissarin Mariann Fischer Boel „ihre“ Taschen? Das ist eher zu bezweifeln. Es sind unser aller Taschen, durch die ausgeglichen werden soll, was der Lebensmittelhandel nicht an die Bauern zahlen, wohl aber an die Endverbraucher weitergeben will. Die europäischen Steuerzahler zahlen also doppelt drauf: Einmal für die Milchpreise im Supermarkt, und dann noch einmal für die EU-Subventionen, welche die Agrar-Kommissarin so freizügig aus „ihren“ Beuteln zahlt, um die Bauern, deren Milch wir alle über Zwischenhändler kaufen, am leben zu halten. Das ist Kapitalismus, wie er funktioniert; das ist der wunderbare Wirtschaftsliberalismus.
Die Zwischenhändler können sich freuen, denn im Grunde lebt das ganz System nur noch für ihren Gewinn – das die Bauern und die übrigen Steuerzahler finanzieren.

Eine weitere Frage bleibt also: Warum meldet sich hierzu nicht die Wettbewerbskommissarin? Ist ihr das Thema nicht wichtig, nicht lukrativ genug? Vielleicht ist sie immer noch zu sehr mit dem Opel-Magna-Deal beschäftigt, hatte der deutsche Finanzminister es immerhin gewagt, seine Empfehlungen für Magna auszusprechen – ganz schön dreist, und so richtig wettbewerbsverzerrend, wenn sich jemand aussuchen möchte, an wen er seine Firma verkaufen will. Aber LebensmittelhändlerInnen, die sowohl Produzenten als auch Endverbraucher abzocken, sind offenbar kein Problem, für den „Wettbewerb“. Eine Abzocke ist das, die man in früheren Zeiten „Wucher“ nannte und für die solche HändlerInnen, zu denselben alten Zeiten, an den Pranger gestellt und mit ihren eigenen Waren beworfen wurden. Ich vermisse diese Jahrhunderte manchmal. Vielleicht sollten wir diesen ganzen Wettbewerb also ebenso in Frage stellten, und die mächtigen Positionen, in denen sich die KommissarInnen der EU befinden, nicht weniger.

Diesen "Wucher" aber nennen sie einen Zug der Milch-Agrar-Reform. Eine Reform wäre meiner Ansicht nach, wenn man nicht Subventionen in ein dysfunktionales System stecken, sondern das System den herrschenden Bedürfnissen anpassen würde - und ich meine nicht die Bedürfnisse der Lebensmittelhandelsketten.

Bevor ich aber noch mehr fragen, in den Screen tippe, lasse ich eine Überlegungen folgen, die ausnahmsweise einer Antwort nahe kommen: Bauern-Kollektive! Aber nicht solche des „Realsozialismus“, dem realen Pseudosozialismus, sondern vielmehr Bündnisse von Milchproduzenten, die kollektive Molkereien betreiben. Denn wenn die Molkereien in Händen der Bauern lägen, hätten die Handelsketten einen schwächeren Stand bei den Preisverhandlungen.

Desweiteren sollten die europäischen Bauern, im Zuge der eigenen Molkereibetreibung, Mitglieder bei Fairtrade werden, damit auch die Konsumenten sicher sein können, dass die Arbeitskräfte der Bauern nicht weiter ausgebeutet werden und sie von ihren Produkten, und nicht von unseren Steuergeldern, leben können.

Montag, 19. Oktober 2009

Unsere Zeit im Bild - 14.10.09

Die Fernseh-Nachrichtensendung des ORF „Zeit im Bild“ zeigte, an diesem Abend, eine erschreckend zynische Collage unserer Zeit: Da kommentierte ein Bericht über die Gehaltshöhen von Bankern an der Wallstreet, den Mangel an Respekt gegenüber der Masse der SchlechtverdienerInnen, deren Steuergelder erst im letzten Jahr den Fortbestand jener Unternehmen sicherten, deren Manager sich durch Mammon zum neuen Adel der Welt krönen lassen. Daraufhin folgten neue Daten und Statistiken über den Hunger in der Menschenwelt. Ungefähr jeder sechste Erdenmensch hungert, meist als Bewohner der Erdteile Asien und Afrika. Der Hunger stieg demnach seit den 90ern des letzten Jahrhunderts nach Christus wieder stark an. Schuld sei die Wirtschaftskrise, das sinkende Einkommen vieler Menschen bei wachsenden Preisen auf Grundnahrungsmittel. Das betrifft die Mehrheit in den reichen Ländern ebenso, die Mehrheit der armen jedoch stärker.

Auf dem dürren Fuße eines unternährten Kindes im Fernsehbild, folgte der Beitrag über einen in Wien gastierenden „Star-Designers“ aus Frankreich, dessen Namen ich nicht kannte und auch wieder vergessen habe. Er stellte sein neuestes Küchenkonzept vor und meinte mit seinem Design an „der Demokratisierung“ teilgehabt zu haben: Höhere Qualität bei niedrigeren Preisen – was mich an IKEA denken lässt. Für die Mehrheit erschwingliches Mobiliar und Zeug für die Wohnung, wird größten teils billig in Asien produziert, wo Arbeitsrechte und Lohnniveau den Regimen beider oft genannten Himmelsrichtungen förderlich sind; und eben auf diesem Kontinent hungern statistisch mehr als 640 Millionen Personen. Natürlich hungern sie mehrheitlich in jenen Gebieten, in denen nicht kosteneffizient für den Westen geschuftet werden kann – dort wird nach anderem gehungert – jedoch an dessen Peripherien. Afrika aber, mit seinen großen Produktionsflächen, beispielsweise des billigen Tabaks, den sich die Völker Europas und Nordamerikas mittels chemisch aufbereiteter Zigaretten in die kränkelnden Lungen saugen, hat, bei allem Interesse der führenden Industrienationen an seinen Schätzen, für über bald 300 Millionen nichts zu essen.

Der Fernseh-Bericht über diesen Schrecken wird eingeklemmt, zwischen dem irrsinnigen Gehaltsniveau der TopmanagerInnen diverser Investment-Banken und dem Auftritt eines französischen Designers, dessen Werke angeblich (direkt oder indirekt) nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken sind und der nun in Fernsehen und Ausstellung eine Küche präsentiert. Bei solchem Themenwechsel kann einem wahrlich schwindelig werden. Aber frei von Schwindel lassen sich gewisse Zusammenhänge in den zusammengehängten Zeitbildern erkennen: (Geld-)Gier überall, Armut und Hunger dort, und die kulturelle Verehrung des Überflüssigen hier, schwemmen einher, als grauenvolle Bilderkonstellation, im Nachrichtenmedium unsere Zeit.

Freitag, 2. Oktober 2009

Platons Albtraum geht weiter

Das große Laster der Menschheit ist nicht der „Kapitalismus“ als Wirtschaftssystem, sondern seine Gleichsetzung mit einem Moralsystem, das er nicht sein kann. Wie in anderen Belangen auch, sind hierbei allein die Kinder unschuldig; die Erwachsenen aber, ob selbsternannte Kapitalisten oder deren vermeintliche Gegner, sind gemeinsame Förderer des Wahngedankens, das Geld „alles“ sei. Denn auch wenn man zwar die Meinung vertreten möchte, dass Geld allein nicht glücklich mache, so folgt darauf meist das Zugeständnis: „Geld ist Macht“ (und Macht sei Geld), die Welt drehe sich ums Geld und wenn man die Wahl hätte, wäre man lieber reich als arm – und zwar an Geld.

Dass Geld aber ein Transfermittel ist, ein Werkzeug des Kapitalismus, wird scheinbar vergessen und damit beginnen falsche Wertvorstellungen, die zwar debattiert, aber nicht gelöst werden, weil bei aller Kritik an den Topmanagern großer Spekulationsunternehmen, deren Geld – um das sich alles zu drehen scheint –, als falsch verstandenes Mittel, immer noch nicht hinterfragt wird. Gerade die Medien, mit ihrem regelmäßigen „Wort zum Sonntag“ (in mannigfaltiger Ausgabe), ihren zahlreichen moralischen Floskeln, tragen zwei unterschiedliche Masken: Einerseits spricht man sinngemäß davon, dass die alten moralischen Werte wichtiger seien, als Geld und Macht, andererseits bemessen die Akteure der Medien, den Erfolg der Akteure der Finanzwirtschaft, nach deren Einkommen. Ein Mensch sei dann erfolgreich, wenn er viel Geld verdient.

Unhinterfragt bleibt, wie das vermeintlich erfolgreiche Menschenwesen zu seinem Geld kam und wie es das Geld verwendet. Man vergisst offenbar zu bedenken: Ein Handwerker wird nicht zum Meister, nur weil er viele Werkzeuge besitzt; er muss auch wissen sie richtig einzusetzen. Und niemand wird behaupten, dass ein Klempner, der durch Missgeschick ein komplettes Wohnhaus überflutet, erfolgreich sei, nur weil er vorweisen kann, dass er reich an Werkzeugen ist. Bei Menschen, deren primäre Tätigkeit lediglich darin besteht, Geld, also das Werkzeug unseres Kapitalismus, anzuhäufen, wird unsinnig gedacht: Man hinterfragt ihr Handeln erst dann, wenn man selbst darunter zu leiden beginnt. Doch selbst wenn man ihre Fehler erkennt und verurteilt, so gewährt man diesen Handwerker des Finanzsystems dennoch ihren Status als Erfolgsmenschen und bestätigt dadurch ein bestehendes Pseudo-Wertesystem. Man bewundert - meist heimlich - ihre Besitztümer, neidet ihre Luxusgüter, versucht ihren Lebensstil zu kopieren bzw. den Anschein des Vermögendseins aufzubauen. Man hat Respekt vor ihnen und dem was sie sagen, obwohl man ihre Geldverdienste oft als ungerecht und maßlos bezeichnen muss. Ein Manager mit großzügiger Abfindung und Prämie wird gar verdammt und gehasst; Millionen-Lottogewinner hingegen beglückwünscht und bewundert, obwohl beide Millionäre gleichsam große Mengen jenes Werkzeugs geschenkt bekommen. Sie mussten es weder durch erbrachte Gegenleistung erarbeiten, noch bekamen sie es für einen bestimmten Zweck zur Verfügung gestellt. Trotzdem wähnt man den einen moralisch im Unrecht, den anderen im Recht, und man neidet beiden ihr Vermögen, weil man meint, beide wären dadurch glücklich.
Auch die Kapitalismuskritiker geben jenen Menschen Macht, die für Geld nicht nur sprichwörtlich über Leichen gehen, weil sie die Frage nach Moral nicht ohne Geld in Kopf stellen können; weil sie die Fragen nach dem was richtiges oder falsches Handeln sei, von der Frage nach dem Geldvermögen der Menschen abhängig machen. Moral aber basiert nicht nur auf Mitgefühl, Mitleid und Nächstenliebe, sondern wird durch Philosophie lebendig; sie kann niemals durch Floskeln und Schuldzuweisungen erarbeitet werden, sondern allein durch Erkenntnis, beruhend auf Logik und Vernunft.

Wer die Frage nach der Gerechtigkeit beim Verteilen von Geld, dem Besitzen von Geld an sich, stellt, sowie Urteile über jene spricht, die maßlos Geld verdienen, muss über das Geldsystem hinausblicken können und es wagen die Frage zu stellen, wozu Geld überhaupt gut sei und warum das Menschenwesen es sich erarbeitet. Die Antworten auf die moralische Krise unserer Zeit finden wir nicht, wenn wir lediglich die Begriffe der Problemanalyse unserer Schwierigkeit mit dem Kapitalismus gebrauchen. Das Geld selbst ist keine Fehlerquelle, deshalb finden wir die Lösungen auch nicht in seiner Materie. Nur allumfassendes Denken bringt uns weiter und sicherlich auch dahin, aufzuhören, den Besitz von Geld als Erfolg zu bezeichnen und seine Besitzer als (unbeliebten oder beliebten) Adel unserer Zeit anzusehen. Manche Extremisten bezeichnen Europa als „Christliches Abendland“, dessen moralische Wurzeln und Wertesystem in den Errungenschaften der antiken Philosophie und den christlichen Lehren lägen. Jedoch entsprach wohl kein/e Herrscher/in oder religiöser Führer mit politischer Macht jemals dem Glauben oder der Philosophie, die er oder sie für sich in Anspruch nahm. Diese Unzulänglichkeit hatte sich vererbt und auch selbst die Yuppie-Generation der 80er hat ihren Einfluss auf die heutige Jugend. Als Tugendhaft gilt, in der Lage zu sein, sich mit dem Schein der Tugendhaftigkeit umgeben zu können, diese Macht zu besitzen; so als würde eine Krawatte einen Menschen in ein edleres Geschöpf verwandeln können. Die Elterngeneration aus dem Zeitalter der Weltkriege, hatte ihren Nachkommen Angst und geistige Zermürbung weitergegeben; die Elterngeneration des wirtschaftlichen Aufschwungs eine verzerrte, absurde Moralvorstellung. Das Wort „Moral“ selbst wurde ad absurdum gefloskelt. Es wundert mich daher nicht, dass Demagogen und Aufhetzer, wie jene der FPÖ, mit ihrem stupiden und a- bzw. pseudomoralischen Wahlkämpfen Stimmen junger WählerInnen erschmeicheln können. Es gilt akzeptabel sich der Angst hinzugeben, diese zugleich durch Selbstüberhöhung zu betäuben und dabei den negativen Egoismus glauben legitimieren zu können. Nur die Hüllen werden behandelt; wenn „die da oben“ mehr verdienen als wir, wenn Ausländer uns Arbeitsplätze und damit Geld wegnehmen. Nur darum geht es; aber Moral und entsprechende Werte finden sich nicht bei der Debatte, wie Güter und Geld verschoben werden sollen. Zuerst gehören wichtigere Fragen geklärt. Was ist es, dass wir verschieben und welchem Zweck dient es oder sollte es dienen: Dem Besitz(en) – von der Prestigevilla bis zum Goldkettchen – oder dem Bessern – vom Krankenhausbau bis zur Stromleitung?