Freitag, 5. Juni 2009

Ein altes (politisches) Lied in Prosa (Ein ärgerliches Geschwätz)

Wie es Generationen vor uns, in unterschiedlichen Staatsformen, bereits widerfuhr, kann auch der EU und ihren Demokratien ein allmählich nahendes und dann plötzliches Ende eintreten. Wir begingen und begehen dieselben Fehler, die auch bereits vergangene Gesellschaften in den Abgrund rennen ließen, und wie sie werden wir die Saat des Unterganges durch Nichtstun gedeihen lassen und zum Schluss hin verschlafen.

In den letzten Jahrzehnten wurde der Wohlstand genährt und sein Anwachsen verdrängte stetig das Interesse an seinem Erhalt. Die freie, demokratische Wohlstandsgesellschaft wurde als selbstverständlich empfunden; die gewohnten Freiheiten machten die Frage und Antwort ihrer Herkunft zur Fleißaufgabe, das Streben nach Freiheit wurde in Abenteuergeschichten verbannt. Da genug Mitglieder der offenen Gesellschaft ausreichend über Freiheiten verfügten, begann man die Frage nach der Befreiung von Randgruppen und Minderheiten zu vernachlässigen. Der erste Stolperschritt hin zum Abgrund: Die Mehrheit der Gesellschaft hörte auf, sich die Frage nach Sinn, Zweck und Legitimation der eigenen Freiheit zu stellen; sie wurde als geerbter Luxus thematisch ins Regal gestellt, wo sie verstaubt, wenn wir sie nicht gerade benützen, um vor anderen Gesellschaften anzugeben.

Die Demokratie wurde allmählich in einem Maße als selbstverständlich empfunden, dass man völlig darauf zu vergessen begann, wodurch sie zum Laufen gebracht wird. Die Wahlbeteiligungen dieser Tage zeichnen das Bild grober Vernachlässigung eines alt gewordenen Apparates. Unsere Großeltern hatten ihn re-installiert und uns gezeigt wie er funktioniert. Die Enkelkinder hörten auf, sich um ihn zu kümmern und deren Eltern hatten keine Zeit es ihnen nahe zu legen – man war zu sehr mit dem Nähren des Wohlstandes beschäftigt, mit dem Konsum seiner Früchte.
Vielleicht ist die Zeit zu lange her, da man auf Demokratie verzichten musste. Nun glauben die meisten, es gebe nichts anderes, wiewohl sie allabendlich das Andere in der Glotze betrachten können und wie sehr uns jene Unterdrückten des Anderen darum beneiden können, um unsere freien Wahlen, zu denen wir nicht gehen, weil wir die feisten Hintern nicht von eben jener, uns über die Bedeutung der Wahlen informierenden Glotze wegbewegen können, in der wir den elenden Mangel der Wahllosigkeit und seine Folgen sehen.

So wie wir das angebissene Brot tonnenweise in den Müll kippen und der Müll unserer Schwerindustrie, die unserem Wohlstand und Luxus dient, die ganze Welt verpestet, so schleudern wir auch die unberührten, bereits verfaulten Brocken unserer politischen Kultur von uns, und all jenen, die gleich neben uns unter dem politischen Grauen der Tyrannei leiden, mitten ins Gesicht. Wir wurden gesellschaftlich dermaßen dekadent, dass unser Verhältnis zu Demokratie und Freiheit unserem gestörten Verhältnis zum Essen gleicht – wir verschlingen sie massenweise, wenn sie uns schnell und billig die Kehle hinab rutscht und süße Versprechungen und die Aromastoffe des Populismus dabei den Geschmack seiner Fäule verbirgt. Danach sind wir politisch nicht gesättigt, fühlen uns aber dennoch übel und voll. Manche entwickeln daraufhin eine Essstörung, wenden sich der Junk-Politik der Extremisten zu oder hören auf sich überhaupt mit Politik zu beschäftigen. Junge Menschen, die eine wahre Paranoia vor politischen Diskussionen entwickelten, sind keine Seltenheit, und bekommen sie doch ein wenig ab, kotzen sie es am falschen Ort halbverdaut wieder aus.

In einem Jahrhundert wird man wissen wollen, warum aus uns solch ein verwöhnter, degenerierter Haufen politischer, intellektueller und emotionaler Weicheier geworden ist. Die Antwort: Aus den selben Gründen, warum die zukünftigen Fragesteller oder deren Nachfahren den Untergang ihres Staatssystems erleben werden. Wir schwammen zu lange im heißen, fetten Wohlstandsleben und wurden doch keine ausgegarte Gesellschaft mehr werden. So wie es die alten Römer taten, etwas später die Chinesen, die Deutschen und Österreicher zweimal im letzten Jahrhundert, unlängst auch die Russen und die Italiener. Dabei jemanden als Pöbel zu beschimpfen hatte jedoch noch nie genutzt. Vielleicht muss das Ende kommen, damit ein Neuanfang möglich ist und wir werden die finstere Zeit überstehen, damit wir auf den Ruinen des alten etwas Neues, vielleicht Besseres, errichten können - und wieder wird etwas aus der finsteren Zeit zurückbleiben und alles wird von vorne losgehen...Verdammt! Wird das nicht irgendwann langweilig?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Schreib dich aus