Freitag, 31. Oktober 2008

Medienkritik - Zeitungen: Die Medaille dreht mich schwindelig

Das Wort „Koinzidenz“ kommt in der Zeitungslandschaft dieser Tage sehr häufig vor – aber anyway: Was soll man darüber hinaus zu österreichischen Zeitungen sagen oder schreiben. Lange Zeit gab es als inländisches Produkt im Grunde nur den (der) Standard für mich, da ich von der konservativen Kleinkariertheit (in)zwischen und auf den Zeilen anderer Blätter immer Schluckauf bekam. Mittlerweile beherrscht mich jedoch ein innere Konflikt: Kann man über diverse Oberflächlichkeiten und Ungenauigkeiten einer Zeitung hinweg sehen? Oder gilt es eine Marketing-Heuchelei von „Alternativität“ (was Links ist, weiß ich längst nicht mehr) zu boykottieren?

Es wäre jedenfalls schade, wenn man nur noch ausländische Zeitungen lesen könnte, nur weil sich Chefredakteurinnen nicht von pseudowissenschaftlichen Rassen-Argumenten ihrer Sportjournalisten distanzieren können, sich aber andererseits – weil sich das so gehört – mit einem großen Kommentar über die Wahl des rechtsextremen Burschenschaftlers Graf zum 3. Nationalratspräsidenten beklagen.
Hassan Medani hatte einst, mittels offenen Briefs, jenen Standard-Sportjournalisten und dessen Artikel kritisiert. Daraufhin – so die ÖH-Zeitschrift unique – kam von Chefredakteurin A. Föderl-Schmid als Antwort ein medien-politisches Axiom: Nämlich die Annahme, dass eine Distanzierung von rassistischen Spekulationen, eine Einschränkung der Pressefreiheit bedeuten würde. Das meint, dass ein Journalist im Namen der Pressefreiheit alles veröffentlichen dürfe, selbst wenn es politisch inkorrekt wäre.

So viel Toleranz bringt Frau Föderl-Schmid und ihre KollegInnen einem FPÖ-Politiker selten entgegen. Dessen Partei behauptet, dass ein Ausschluss ihrer Mitglieder vom (aufgrund der Anzahl der Mandate) „traditionell“ zustehenden Nationalratspräsidentenamt eine Einschränkung der demokratischen Freiheit bedeuten würde - so rechtsextrem der jeweilige Kandidat auch sei.
Die beiden Ausreden, mit denen „links-liberale“ Zeitung und rechtsextreme Partei - zwei scheinbare Gegnerschaften – ihre jeweiligen Unanständigkeiten verteidigen, sind also beinahe identisch. Außerdem: Als Beschädigung der „demokratischen Kultur“ deutet der Standard die Ernennung Grafs, während dessen Partei eine solche Beschädigung diagnostiziert hätte, wenn er nicht ernannt worden wäre. Dennoch ist ganz klar: Der Martin Graf ist der böse und sowieso verstecken sich überall Neonazis unter Schafspelzen, die als Protestwähler kaschiert werden, wie der Standard wieder einmal aufdeckte. Also „Schaut auf dieses Land“ – titelt Föderl-Schmid. Schaut auf dieses nach Rechts abrutschende Land. Recht hat sie. Aber schaut auch auf eure ZeitungsmacherInnen. Die verlieren an Glaubwürdigkeit, wenn sie so daher-schreiben und nicht beachten, was auf ihrem Nachbars-Schreibtisch geschieht.