Sonntag, 1. Juni 2008

Zeitlich verschobenes Beschwerderecht

Hatte freitags einen Rechtshilfe-Workshop besucht. Wusstet ihr, dass man sich in Österreich – vermutlich auch in den meisten anderen Staatskonstrukten – nicht gegen eine Amtshandlung wehren oder einmischen darf, selbst wenn man ihre Rechtswidrigkeit erkennt. Das einzige Mittel, dass einem zur Verfügung steht, um seine Rechte gegen das Gewaltmonopol des Staates zu verteidigen, ist im Grunde jenes, auf welches ohnedies jedes Opfer – durch was auch immer dazu gemacht - in der Regel zugreift, das zu dessen Anwendung noch in der Lage ist: Beschwerde darf man im Nachhinein einreichen (es sei denn man hat dunkelbraune Haut – dann dürfte man zwar auch, ist aber meist nicht mehr dazu in der Lage). Solange die österreichische Polizei sich an die Regeln hält, verhältnismäßig handelt, ist die Ohnmacht des zivilen Bürgers gegen über dem Gewaltmonopol ausgeblendet – Korruptionsfälle hin, Parteilichkeit her.

Dieses Verhältnis von Demokratie und bürgerlicher Ohnmacht erinnerte mich sehr an die heitere Welt der Politik: Man wählt alle 4 oder 5 Jahre eine Partei, lässt sich von ihrem Wahlprogrammen und Versprechungen beeinflussen (sofern es ein Programm gibt, die Versprechungen nicht zu absurd sind) und kann für die Dauer einer Legislaturperiode zusehen, wie die gewählten Vertreter der Wirtschaftslobbys – ich meine – die „Vertreter des Volkes“, tun und lassen können was sie wollen, ohne das es von Seiten der Bürger oder der unmittelbar Betroffenen die Möglichkeit zum Eingreifen oder zur Mitsprache gibt. Angst vor dem Zorn der Wähler müssen Politiker erst viel zu spät fürchten und das Gedächtnis des Wahlvolkes ist schlecht, ebenso wie seine kollektive politische Wahrnehmung. Zudem gibt es ein ausreichendes Kontingent an Stammwählern, die die Parteiklüngel mit der Bedeutung von Fußballvereinen gleich setzen, sodass es in Österreich eigentlich nur zwei Parteien gibt, die sich seit Beginn der zweiten Republik die Macht im Lande teilen.
Aber auch hier gilt: Solange es zu keiner ärgeren Krise, zu keiner Katastrophe kommt, solange der verhältnismäßige Wohlstand die Bürger an ihren, von Fernsehflimmern beschienen Fleisch-Plastiktöpfen hält und sie ausreichend Zeit und Ressourcen finden, sich mit ihren alltäglichen Problemen zu ärgern, wird niemanden diese Machtlosigkeit auffallen, der das Volk auch in dieser Demokratie ausgeliefert ist.

Nun gibt es Menschen, die aus offensichtlichen Pseudo-Demokratien in unsere einwandern wollen und was kann man nun tun, wenn man als Beobachter erkennen muss, dass das Innenministerium die (Menschen-)Rechte dieser Personen missachtet? Nichts. Ausnahme: Man kann sich beschweren, protestieren, demonstrieren – im Nachhinein, wenn das eine Flüchtlingspaar während der unberechtigten Abschiebung längst in Italien abhanden gekommen ist, wenn der Afrikaner während des Fluges bereits verstorben ist, wenn das Urteil über ein unbescholtenes Mädchen aus Frankenburg längst verhängt wurde. Der verantwortliche Innenminister tourt derzeit durch Österreich, um sein Image aufzubessern. Sollte dies mit euren Steuergeldern finanziert werden – was wollt ihr tun? Ihr könnt euch im Nachhinein beschweren, auch wenn dies keine Konsequenzen für den Verschleuderer haben würde. Solltet ihr während einer Kundgebung, durch die ihr euren Unmut gegenüber der aktuellen Asylpolitik zum Ausdruck bringen wollt, - ob begründet oder nicht – vom Schlagstock eines Polizisten geküsst worden sein: Könnt ihr im Nachhinein eine Beschwerde einreichen – sich zur gegebenen Zeit gegen die Gewalt des Polizisten zu wehren ist nicht gestattet, kann sogar zur Anzeige gegen euch führen. Ohnmacht. Würde eure Kundgebung, die eines der wenigen politischen Mittel, der wenigen Möglichkeiten zur öffentlichen freien Meinungsäußerung darstellt – welche euer Recht ist – aus unerfindlichen Gründen aufgelöst werden…Richtig: Ihr könnt im Nachhinein einen Beschwerdebrief schreiben. Ihr könnt Anzeige erstatten, ihr könnt den Staat vor seine eigenen Gerichte schleppen – so ein Staat ist allerdings ziemlich schwer und wie hoch die Urteile des obersten Gerichtshofes in diesem Rechtsstaat geschätzt werden, kann man an der Ortstafel-Problematik in Kärnten erkennen. Wenn die Gruppe, um einen lokalen Parteiklüngel die Würde einer Volksgruppe nicht anerkennen will, so kann man gegen diese Ignoranz nichts machen. Natürlich, man kann sich beschweren.

Auch in Russland kann man sich bescheren. Manchmal, wenn die Beschwerde all zu verbreitet, zu fundiert, zu erschütternd ist, kann man nicht einmal das. Was unterscheidet Österreich von Russland? Bisher war der allgemeine Wohlstand ausreichend, um die Politiker der Parteien in ihrem Machtstreben zu sättigen und sich mit kleineren Korruptionen zufrieden zu geben. Würde sich die ändern und läge den Mächtigen – z.B. aufgrund sinkenden Wohlstandes und Reichtums, aufgrund einer Lebensmittelkrise oder eines Zusammenbruchs der Finanz-Wirtschaft – an einer einseitigen Festigung ihrer Position, ihrer Privilegien, so könnte man sich nur noch im Nachhinein beschweren.

Natürlich wird es dazu niemals kommen, genauso, wie es niemals Studiengebühren an österreichischen Hochschulen geben wird; ebenso, wie niemals Menschen, die ein Verwaltungsdelikt begingen, indem sie die Grenze inoffiziell übertraten, für Monate in eine Zelle gesperrt werden; wie Staatsverträge niemals ausgesetzt werden, nur weil private Unternehmen an einem Fußball-Großereignis ohne Zwischenfälle verdienen möchten; so wie es niemals Machtmissbrauch durch Politiker innerhalb der Polizei gibt und die katholische Kirche im säkularen Staat sich nicht in politische Entscheidungen einmischt.

Wir haben zugelassen, dass die allgemeinen und wesentlichen Menschrechte, sogar das Asylgesetzt zu gewissen Teilen, gegenüber Personen ausgesetzt wird, die am Rande der Weltgemeinschaft stehen, die uns nichts angehen, für die wir nichts machen wollen, von denen wir unsere Gesichter abwenden. Nun wurden Tierschützer verhaftet und ob diese nun eine militante Gruppe gebildet haben, ein Terrornetzwerk zwischen Kindercafe und Graffitiszene, oder nicht – im Kampf gegen den Terror ist schließlich jedes Mittel recht und was „Terror“ ist bestimmt das Innenministerium – gewisse Rechte der noch nicht einmal offiziell Angeklagten wurden teils tatsächlich, teils angeblich, nicht berücksichtigt. Man ist gerade dabei sich zu beschweren. Natürlich kann es sein, dass diese Tierrechtler Vandalismus begangen haben, irgendwelche Tierquäler bedrohten, natürlich ist es möglich, dass sie eine militante Organisation gegründet haben, doch macht sie das sogleich zu Vogelfreien?

Richtig: Es handelt sich nur um „Alternative“, um linke Zecken, Leute die zu viele Bücher lesen. Doch waren es zunächst die Papierlosen, die illegalen Einwanderer, etwas später die legalen, die gewissen Leuten nicht passten; waren es noch später die Muslime, die wir unter Generalverdacht stellten; so sind es heute die links-alternativen Lästerer, die Spielverderber beim Treiben des zügellosen Kommerzes und morgen sind es vielleicht alle Bürger die sich kritisch gegenüber der Gesundheitspolitik äußern. Russland ist nicht so weit weg, wie wir möglicherweise annehmen und was dem Putin der Tschetschenienkrieg ist, ist unseren Staats-Parteien der – wie auch immer geartete – internationale Terrorismus (und wenn wir lange keinen mehr hatten, dann erfinden wir uns einen neuen). Schritt für Schritt, kaum merklich und hinter verschlossenen Türen – darin ist Österreich seit jeher besonders gut - nähern wir uns den Vorbildern des modernen, international uneingeschränkt agierenden Ultrakapitalismus an. China und Russland sind die großen Idole derer die sich für Politik nicht interessieren, es sei denn sie bedeutet Geld. Die Ohnmacht des Bürgers innerhalb des republikanischen Systems, gegenüber den wirtschaftlichen oder politischen Machthabern, ist bei uns längst angekommen: Aber schreiben wir doch im Nachhinein eine Beschwerde-Email und verschenken wir Abfindungen an überbezahlte Manager, dann ist alles wieder gut.

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