Freitag, 27. Juni 2008

Temporär begrenzter Fußball-Fanatismus

Während der durchschnittliche deutsche Fan, dem durchschnittlichen Österreicher, vor allem durch eine gewisse Überheblichkeit in Erscheinung tritt, was von diesen selbst lediglich als notwendiges, unterstützendes starkes Selbstvertrauen betrachtet wird, besticht er auch nicht immer durch ein hohes Maß an Musikalität. Da ich selbst Österreicher bin, sei an dieser Stelle erwähnt, dass ich grundsätzlich keine Vorurteile gegen die „Piefke“ an sich habe (obwohl ich in Wien lebe – wo eine Deutschen-Skepsis gewissermaßen zur bürgerlichen Etikette gehört) und ich bin auch nicht aufgrund des EM-Rausschmisses der österreichischen Nationalmannschaft, durch die (doofen) Deutschen, beleidigt und voreingenommen (die Niederlage war schließlich nicht sonderlich überraschend).
Als ich gestern jedoch am Schwedenplatz, hier in Wien, wo das zweite Semifinal-Spiel stattfand, an einer Gruppe spanischer Fußballfans vorbei kam, lies sich ein grundsätzlicher, nationaler Unterschied nicht überhören. Zwar war das Herden-Verhalten der überwiegend männlichen Spanier-Ansammlung – aus meiner Sicht – nicht minder sexistisch bzw. viktimisierend, sofern eine Minderheit an Minirockträgerinnen nicht umhin kam, an der Ansammlung vorbei zu stöckeln; allerdings brüllen, schnauben, wiehern und sabbern die spanischen Rindsviecher nicht, um einer Dame sexuelle Zuneigung zu signalisieren, sondern beginnen zu singen und zwar weder eines der beiden Standard-Fußballfan-Liederchen, noch die Nationalhymne, weshalb die spanischen Fans bereits ein Lied mehr beherrschen, als beispielsweise die deutschen (also insgesamt 3 Standard-Melodien mit variierenden Texten).

Was für die deutschen Fans gilt, trifft meist auch für die österreichischen zu, überdies, nach dem österreichischen Ausscheiden, wenigstens beim Spiel Deutschland:Türkei, sich erstaunlicherweise Österreicher unter den feiernden Deutschen befanden und angesichts der „Mosche, Mosche…“-Grölereien, nach der endgültigen Niederlage der Türkei, kann man auch erahnen, dass die plötzliche, (beim Fußball) untypische Deutschland-Sympathie, nicht ausschließlich etwas mit der gemeinsamen Sprache zu tun hat.

Russische Fans sind hingegen ein ganz eigenes Völkchen, das es offenbar vorzieht, in großen Luxus-Autos oder in Taxis herumfahrend, ihre Vorfreude und Aufregung vor dem Spiel so zusagen mobil zu zelebrieren. Irgenjemand meinte, dass die Ursache für die russische KFZ-Obsession in der Gefährlichkeit der russischen Straßen, also im Risiko des Zufußgehens in Russlands Großstädten begründet liegt. Vielleicht war diese Wagenschau aber das falsche Fan-Ritual, nicht nur weil es die Umwelt belastet, immerhin ist Fußball ein Laufsport, das ihnen – wie wir ja nun wissen – nichts nützte; die Spanier schossen in der zweiten Hälfte des gestrigen Spiels 3 Tore für die freie Welt und ich saß diesmal zum Glück nicht im Gastgarten, wo vorgestern, als ich auf die Toilette ging, ein heimtückischer Wolkenbruch – den wir bereits zu ende geglaubt hatten – meinen Sitzplatz und meine Mitbringsel wegspülte, während ich verzweifelt versuchte, im wahrsten Sinne, gegen den Strom nasser Menschenmassen zu schwimmen, die bei allen Eingängen des Gasthauses eindrangen. Nachdem ich es dennoch schaffte, in Shorts und Hemd, nach draußen zu drängen, wusste ich auch weshalb die mir Entgegenkommenden solch panikhafte Grimassen schnitten – innerhalb 0,5 Sekunden war sogar meine Boxershort durchnässt und mein Strohhut flog in weitem Bogen in eine Gruppe von Fußballfans, die sich in einem Torbogen untergestellt hatten. Natürlich waren es hauptsächlich Deutsche bzw. Österreicher die so taten, als wären sie schon immer Fans von Ballak und Lahm gewesen. Eine Person rettete meinen Hut vor der Menge trampelnder Füße und hatte ihn sich auf den Kopf gesetzt, während ich noch den Boden absuchte: Eine sehr sympathische türkische Fanin. Es ist schon erstaunlich: Ich kenne, bis auf den Tormann, dessen Name wie „Frühstück“ klingt, keinen einzigen Spieler der türkischen Nationalelf und interessiere mich ansonsten kein Bischen für Fußball. An diesem Abend aber, an dem vom Spiel wenig mitzubekommen war, weil man sich entweder vor den Wasserfluten retten musste oder die TV-Verbindung immer wieder vom Blitz getroffen wurde, brüllte ich mit Inbrunst „Türkiye!“ und war bitter über seine Niederlage enttäuscht. Und das hat wirklich nichts mit den (doofen) Deutschen zu tun.

Gestern war ich hingegen ein inbrünstiger „España!“-Rufer (allerdings ohne Apostroph) und ein fanatischer „Venga-Venga!“ Plärrer – mit noch mehr Genuss sogar äußerte ich da meinen temporären Fremd-Nationalismus, wahrscheinlich weil Spanien tatsächlich gewann und mein Bier diesmal nicht zur Hälfte mit Regenwasser auf-„gespritzt“ wurde. Ja, alle zwei Jahre kann Fußball schon eine tolle Sache sein. Toll wie toll-machend.

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