Sonntag, 29. Juni 2008

Das Problem und seine offenbarende Kraft

Der Brief an den Herausgeber der Kronen Zeitung, der nicht nur innerhalb der Regierungskoalition, sondern ebenso innerhalb der Partei der beiden Urheber (Faymann/Gusenbauer) – zuletzt bei Salzburgs Bürgermeister Schaden – für heftige Erregung sorgte, zeigt nicht nur, wie schnell Medien gewisse Schreibwendungen übernehmen und kopieren, und kopieren, und kopieren, und kopieren, und kopieren.
Die Schreibwendungen selbst offenbaren Interessantes, elitäre Ansichten vielleicht, die folgende Formel enthält: Volksabstimmung bei EU-verfassungsmäßigen Verträgen = Abkehr von einer Pro-EU-Politik. Anders geschrieben: Die demokratische Wahlmöglichkeit der unmittelbar Betroffenen wird mit Anti-EU-Kurs gleichgesetzt. Zu Recht könnte man meinen, wenn man argumentiert, dass es sich bei der EU um ein Bündnis von Staaten handelt, die repräsentative Demokratien und keine direkten Demokratien darstellen – die meisten Staaten, wie Österreich, sind von einer Konsenspolitik, welche die von einer Entscheidung unmittelbar Betroffenen einbindet, so weit entfernt, wie Noch-Kanzler Gusenbauer von einer Wiederwahl. Und verstehen sie mich nicht falsch: Auch ich erachte es als Wahnsinn, eine Volksmasse, die sich zu einem guten Teil lediglich über Billig- bzw. Gratiszeitungen und die ORF ZIP politisch zu bilden glaubt, über die Ratifizierung eines wichtigen Vertragswerkes abstimmen zu lassen. Aber vielleicht brauchen wir, das heißt Österreich und die EU, diesen Wahnsinn, um sich politisch weiter zu entwickeln. Wenn so viele Menschen, sofern sie die Wahl hätten, sich gegen den Vertag von Nizza, oder eine Adaption desselben, entscheiden würden – einen Vertrag den sie nicht verstehen, der aber ihr Leben beeinflussen würde – so muss das nicht unbedingt ein ungesundes Verhalten darstellen. Ungesund ist jedoch das bisherige Vorgehens- und Argumentationsweise unserer Demokratien, die eine Volksabstimmung zu einem Quasi-EU-Verfassungsteil, deshalb untersagen, weil eine Ablehnung dessen zu befürchten wäre.
Die gewählten Vertreter des Volkes erwarten, dass das Volk vertrauen hat und sie selbst sprechen in der Populismussprache stets davon, den Wählerinnen und Wählern (in ihrer Urteilskraft) zu vertrauen (sofern sie die Wahlen gewinnen); zugleich trauen sie ihren Wählern allerdings nicht zu, über ihr, mit dem eines EU-Vertrages zusammenhängendes, Schicksal zu bestimmen.

Ich sehe insgesamt zwei Möglichkeiten diesem scheinbaren Dilemma zu begegnen. 1. Man versucht mittels politischer Gewalt den Status Q der repräsentativen Demokratien aufrecht zu erhalten. Das bedeutet, dass das Volk alle 4 oder 5 Jahre das Privileg hat, aus den Eliten und den Parteien bzw. Parteiklüngeln gewisse Mehrheitsverhältnisse zu wählen, die wiederum ihre Vertreter aufstellen, die wiederum ihre Vertreter innerhalb eines europäischen Bündnisses (EU-Parlament/Kommission) von auf die selbe Weise auserkorenen Vertretern zusammenschließen, welche dann über die Zukunft der EU zu entscheiden haben.
2. Man entschließt sich das Risiko des Wahnsinns einzugehen und befragt die Menschen über ihre Meinung, bindet sie ein, gibt ihnen Zeit über all die wichtigen Entscheidungen nachzudenken, betreibt AUFKLÄRUNG und INFORMATIONSARBEIT, lässt sich ZEIT und denkt nicht nur an die nächsten wirtschaftlichen Ziele der Unternehmen, deren Lobbys man zusätzlich zu den Wählern, zu vertreten hat und entschließt im Konsens mit allen Betroffenen, was auch die Kinder und sogar die Ungeborenen bzw. deren wahrscheinliche Interessen mit einbezieht, wie man weiter vorgehen muss und was an einem etwaigen Vertragswerk zu ändern ist.

Eine wirklich konsensorientierte Politik muss in der Lage sein, den Großteil der Betroffenen oder besser gesagt der Beteiligten, zu überzeugen, wo sie dies nicht kann, muss sie sich verbessern. Der Status Q bedeutet hingegen, den Bürger ausschließlich zu beruhigen, ihn gegebenenfalls zu überreden; auf wirkliche Einbindung und Überzeugung kann er verzichten, denn erst die nächsten Wahlen, am Ende einer Legislaturperiode, können unter Umständen Konsequenzen für ein falsches Verhalten bedeuten, dem die jeweiligen Machthaber nur erneut mit Überredung, Beruhigung, Heuchelei und Lügen entgegentreten können – ob dies systematische Verhalten zum Guten oder Schlechten führt, sei zunächst dahin gestellt; denn so sagte die neue, designierte Innenministerin kürzlich und treffend: Der Zweck heiligt nicht die Mittel.

Eine Einbindung der Bevölkerung in die wichtigen Entscheidungsprozesse der EU-Politik, würde eine Flucht nach vorne bedeuten, eine Umgestaltung selbiger notwendig machen, was – so glaube ich – an einer Art „Vereinigte Staaten von Europa“ nicht vorbei führt. Man kann sich auch irren und es werden die einzelnen Staaten bzw. deren Eliten lernen sich nicht vor ihrem eigenen Volk zu fürchten. Sich aber nicht vor dem Volk zu fürchten setzt voraus, dass das Volk satt, sicher und vor allem aufgeklärt ist. Es ist unrealistisch anzunehmen, dass der Großteil der Wähler einen reflektierten Zugang zur EU-Politik, als Basis für seine Beurteilung eines zur Abstimmung stehenden Vertrages heranziehen könnte. Man käme, ließe man ihn abstimmen, also nicht umhin, ihn zu einem Wähler zu machen, der die Fähigkeiten und das Wissen besitzt, einen solchen reflektierten Zugang zu finden. Vor solchen Wählern scheinen sich die Machthaber jedoch mehr zu fürchten, als vor dem Chaos, das entstünde, wenn man das Urteil des bisherigen Durchschnittwählers zur Ratifizierung eines EU-Vertrages heranziehen würde – und noch größer ist wohl die Angst vor den Mühen und Anstrengungen, die die Bildung eines zur ausreichenden Reflektion fähigen Wählers bedeuten würden. Ein Staat der dies vollbrächte wäre geradezu platonisch und es sind vermutlich gerade die politisch erfahrenen einstigen oder aktuellen Machthaber, wie dereinst Cicero, die an einen solchen Staat nicht glauben (wollen).

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Schreib dich aus