Freitag, 2. Mai 2008

Präzisierung einer Vergewaltigung

Ja, es ist fantastisch - fantastisch, wie ein Tanztrip unter Derwischen in einem 1001-Nacht-Vergnügungspark, mit 1,45 Kg türkischem Honig im Magen: Das türkische Parlament ändert den berühmtberüchtigten Paragrafen 301 zur Beleidigung des Türkentums. Nun müssen Journalisten, Schriftsteller, Künstler, Intellektuelle nicht mehr darauf achten, das „Türkentum“ nicht zu kritisieren, zu analysieren, zu hinterfragen - in der Praxis also alles, was mit der türkischen Geschichte oder Gegenwart zu tun hat. Auch wenn dies die Gerichte nicht mehr ahnden, so bestrafen allerdings immer noch die organisierten Rechtsextremen etwaige Meinungsäußerungen, was zwar nicht Gefängnis, jedoch ein jeweiliges Todesurteil bedeuten kann. Vielmehr müssen all jene, die aufgrund ihres Verstandes Meinungsfreiheit zu nutzen wüssten, nun darauf achten, das Gesamtkonstrukt der türkischen Nation nicht zu beleidigen.

Die Definition der türkischen Nation ist nicht mehr gleichbedeutend mit der Definition des Türkentums, allerdings problematischer, denn bei einem schwammigen, wie Lukum deformierbaren Begriff, wie dem des Türkentums, hätten Verteidiger (bei einem fairen Verfahren) die selben Möglichkeiten wie die Anklage, aufgrund der unzulänglichen und zugleich vielseitigen Auslegungs- und Deutungsmöglichkeiten, eine Entscheidung in ihrem Sinne zu erwirken - den Gegner mit seinen eigenen Waffen zu schlagen bzw. seine Schläge abzuwehren. Das Verbot, die türkische Nation zu beleidigen oder erniedrigen, ist – wie Erdogan selbst bestätigt – lediglich eine Präzisierung des Gesetztes. Alles was sich als Verunglimpfung gegen die Nation, also gegen den Staat, das Parlament, das Militär richtet, kann nun - oder sobald es in Kraft tritt - präzise und ohne begriffliche Fluchtmöglichkeiten einer Verteidigung, abgestraft werden.

Das macht das Verbot freier Kritik, u.a. an der Politik des Landes, absolut. Hierzu klatschen deutsche und andere Politiker der EU in die Hände. Bravo! Ein Schritt in die richtige Richtung sei dies juristische Modifizieren, auch wenn noch viel getan werden müsse, die Meinungsfreiheit der türkischen Bürger zu gewährleisten. Vielleicht haben diese AnzugträgerInnen nicht ganz begriffen, dass der türkische Staat auf die Rechte einen großen Haufen macht, die er seinen Bürgern zu gewähren vorgeben möchte, wenn es um die Äußerung einer frei gebildeten Meinung geht, ohne die Gefahr auf Militärstiefelabdrücke im Sitzfleisch. Wir sind ein moderner Staat, eine Demokratie – zwar nicht zur Gänze, aber beinahe - ein halbVOLLES Glas Ayran. Vielleicht wünschen sich manche Politiker in den Landen der EU, insgeheim natürlich, einen ähnlichen Paragrafen: Rufschädigung des (Pseudo-)Wirtschaftsliberalismus, Verunglimpfung des Europäertums, Beleidigung der EU(-Politik) - alles zu ahnden. Jedenfalls weiß ich nicht, was ich von Wert-Europäern halten soll, die einem Vergewaltiger bei seinem Verbrechen zusehen und zu applaudieren beginnen, wenn er, auf diplomatische Zurufe hin, sein Opfer etwas weniger heftig misshandelt. Und wenn du jetzt noch die Fesseln von den abgescheuerten Armgelenken löst, dann sind wir sehr stolz auf dich.

Zu den Menschenrechten steht man oder nicht; ein Kompromiss ist in dieser Frage unbrauchbar. Wir respektieren zwar das Recht auf Leben, jedoch auf kein selbst bestimmtes, wenn wir Menschen- mit Viehrechten verwechseln. Anders und plakativer: Die Menschen haben das Recht auf Glück, aber nicht auf Leben. Sie sind frei, aber nicht ihre Meinungsäußerungen. Meinungsfreiheit ist vermutlich ein Absolutum. Ein bisserl Meinungsfreiheit (nicht zu verwechseln mit der Pressefreiheit) ist zumindest widersinnig - Zudem das Bisschen der türkischen Regierung einen unlustigen Scherz darstellt.

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