Mittwoch, 21. Mai 2008

Anti-Stigmatisierungs-Reform - mit offenen Fragen

In Österreich soll das Sozialsystem über das AMS vereinheitlicht und damit reformiert werden, hierbei soll eine allgemein gültige Mindestsicherung dienlich sein. Hauptkritiker, unser allseits beliebter Augustin-Kolumnist und Sozialexperte Martin Schenk sieht darin eine bloße Erneuerung der Fassade. Verfechterin – in einer Ö1-Diskussionsrunde von heute Abend – und Stadträtin Wiens (für soziale Gesundheit oder gesunde Sozialleistungen) Sonja Wehsely hatte jedenfalls die Garantie parat, dass die Reform eine Entstigmatisierung der betroffenen Sozialhilfeempfänger bedeute, da diese z.B. nicht mehr zu ihrem öden Bürgermeisterbüro, sondern zum öden/überlaufenen Büro des AMS gehen müssen. Außerdem wird per behördlichen Schein nicht auf den ersten Blick ersichtlich sein, dass es sich bei dem Inhaber des selbigen um einen Sozialhilfeempfänger handelt – erst auf den zweiten Blick. Dadurch sollen sich vor allem die Betroffenen besser fühlen, ebenso die jeweiligen, zufälligen oder bewussten Beobachter, welche sich hierauf nicht mehr gedrängt erachten, den offenbarten Sozialhilfeempfänger auszulachen, zu veralbern und mit Kaffeebechern, sowie 1-2 Cent Münzen zu bewerfen – ihn also nicht mehr zu „stigmatisieren“.

Dass bei dieser Vereinheitlichung auch gewisse Zusatzleistungen, die den speziellen Situationen der Hilfesuchenden angepasst sind, wegfallen könnten, hatte Schenk angemerkt, worauf allerdings vor allem das Anti-Stigmatisierungs-Gefühls-Argument erneuert wurde.

Ich weiß nicht, ob Frau Mag. Wehsely bereits über einen längeren Zeitraum pleite war, um feststellen zu können, dass sich eine solche Lebenssituation nicht besonders gut anfühlt – nicht weil man sich stigmatisiert und von der Gesellschaft abgestempelt vorkommt, sondern weil man sich einfach nichts leisten kann, das einem das Leben erträglich machen könnte (Heizung, Medienkonsum, öffentliche Verkehrsmittel, Schokokekse) – selbst wenn sich die Pleite nicht unmittelbar lebensbedrohend auswirkt. Die Betroffenen hören vermutlich gerne, dass sich die Verantwortlichen des Sozialsystems über ihre möglichen Befindlichkeiten, die Aufgrund des unangenehmen Antragsstellens um Sozialhilfe aufkommen können, sorgen. Ein wenig lieber wird und sollte ihnen jedoch sein, zu hören, was das System konkret leistet, um die Situationen der Menschen zu verbessern – individuell, was nach Schenks Meinung gerade durch die Reform eingeschränkt wird, obschon es angeblich genau daran AMS-intern mangelt.

Wie beim Gesundheitswesen, muss man sich auch bei dieser angestrebten Neuerung fragen: Effizienzsteigerung oder Kosteneinsparung. Das eine schließt das andere nicht aus, bedingsbumst es aber auch nicht. Klartext wäre erstrebenswert – damit auch meiner in diesem Blog nicht all zu blöd dasteht.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Schreib dich aus