Mittwoch, 23. Januar 2008

Morgens in Meidling

Heute Morgen stand ich viel zu früh auf und nützte das Halbschlaf-Delirium um einen kleinen Spaziergang zu machen. Entging dabei weder dem psychischen Drang die FAZ zu kaufen, noch der räumlichen Präsenz des Meidlinger-Marktplatzes. Ich kam also nicht umhin auch noch Frühstücksgebäck zu besorgen und nach einem Blick in die Auslage des dort ansässigen, (weniger aufgrund der Architektur, als wegen des Inhaltes) konventionellen „Bäckers“, entschied ich wieder einmal den Deewan aufzusuchen, jene "türkische" Bäckerei, die an der einzigen, an den Marktplatz angrenzenden Hausfassade liegt. Nein, liebe Kinder, kein Backshop – nun gut es steht zwar Backshop an den Schaufenstern geschrieben, aber im Grunde handelt es sich um eine Bäckerei – denn dort wird gebacken. Wieder Nein, nicht auf- gebacken, sondern richtig gebacken, mit Teig, der an Ort und Stelle angefertigt wird und zwar mit der Hand, wie dies früher einmal auch die Mitteleuropäer konnten. Und natürlich wird das Zeug auch vor Ort verkauft, was sich meist schonender auf den Stand des jeweils mitgeführten Kleingeldes auswirkt, als ein Besuch bei jenen „österreichischen“ Backwarenhändler, die zwar allgemein als „Bäcker“ bezeichnet werden, zu denen die Waren allerdings von irgendwoher geliefert werden oder die das bereits erwähnte Aufbacken praktizieren. Sogar diese Instant-Backware übertrifft häufig die Höhe der Preise des türkischen Frischbäckers.

Als ich, meine zwei Sesamstangen und das Kipferl (es gibt auch Österreichisches beim Türken) unterm Arm, wieder auf den Platz hinaus trat, beschien die Sonne bereits die Dächer der Marktbuden, die Tauben segelten in der kühlen Brise und aus einem nahen PKW drang türkische Schlager-Musik. Da hätten gewisse Mitglieder der FPÖ, einige des BZÖ und einzelne der ÖVP sicherlich etwas zu meckern gehabt. Die Läden in dieser Gegend meist von Handy-Verkäufern, Kebab-Köchen oder von aus dem Iran oder vom Balkan stammenden Obsthändlern besetzt, während die Marktatmosphäre von nahöstlichem Sing-Sang untermalt wird, was in Meidling tatsächlich nicht selten geschieht.

Doch was kann man jenen bangen Menschen, die um die österreichische Identität ihrer Wohnsiedlungs-Eintönigkeit fürchten, antworten, wenn sie ihre nationalistischen Kultur-Komplexe zur Politik machen wollen? Man kann sie beispielsweise fragen, ob es besser wäre österreichische Schlager des Morgens aus laut durch die Gassen dröhnenden Autos zu hören. Dies kann ich verneinen – der ostländliche Folklore-Schlager-Pop-Mischmasch ist das geringere Übel. Und wo - beim Qualtinger und der Schrammel Bärte - gibt es, außerhalb Meidlings oder des Fünfzehnten, Musikbeschallung, die einer österreichischen Auffassung von National-Kultur gerecht käme? Im Trend-Modehaus? In den mit Hitradio verseuchten Schaufenster-Cafes? Eben.

Nicht einmal der österreichische Händler panierter Tierleichen, der seine Kundschaft, sowie – aus unerfindlichen Gründen – die unmittelbare Umgebung seines Lokals, per Außen-Lautsprecher, mit Pop-Schlagern aus den 80gern terrorisiert und sich ebenfalls am Meidlinger Marktplatz finden lässt, hat, abgesehen von einem gelegentlichen Fendrich, etwas Österreichisches in seinen Musikbeiträgen.

Weshalb also beklagen? Weshalb einer österreichischen Kultur-Atmosphäre scheinheilig nachtrauern, die wir nur dann benötigen, wenn wir aus populistischen Gründen einen künstlichen Gegenpart zum kulturellen Einfluss der Immigranten-Wohngegenden herbeizaubern möchten, wenn wir uns in Wahrheit gerne von internationalen Pop-Musik-Medien-Konzernen umgeben lassen, von McDonalds und Starbucks, von H&M und Nordsee. Den Schritt, weg von der Eigenständigkeit, hin zur Globalisierung der Atmosphäre unseres Straßenlebens und unserer Alltagskultur, taten wir selbst. Auch die deutsche Sprache vertrieben wir ganz selbsttätig aus Allem was "cool" ist. Den Kapital-Liberalismus, den wir versehentlich für jenes Gut halten, welches uns dermaßen über jene Länder erhebt, die wir als nicht westlich benennen und deren Flüchtlinge wir so ungern bei uns aufnehmen, wählten auch nicht die Immigranten für uns aus (Mit „wir“ und „uns“, meine ich selbstverständlich nicht mich, auch nicht unbedingt euch, aber sicherlich die meisten von uns).

Wenn sich die Angestammten nicht mehr ausreichend fortpflanzen wollen, um die Kapitalismus-Maschinerie am laufen zu halten; wenn sie die Unfähigkeit frisches Gebäck zu verkaufen, als „Trendy“ vermarkten, dabei nicht einmal auf eigene Folklore zurückgreifen können und die Volksmusik auf das Panorama-Fernsehen verbannen, wäre es billig und falsch, Immigranten-Kulturen dafür die Schuld zu geben. Den Neid auf deren, bei Migrationsumständen übliche, kulturelle Identitätsbewahrung/-Findung, sollten wir vergessen und uns stattdessen an die eigene kulturelle Identität erinnern. Denn es gibt vermutlich deshalb viele Menschen, die mit fremden National-Kulturen nicht umzugehen wissen, weil sie die eigene nicht mehr kennen. Ein kulturell ungefestigter, identitätsverlustiger Mensch, neigt dazu, entweder zu neiden oder zu bewundern, wenn er mit einem anderen konfrontiert wird, der noch Lieder in seiner Muttersprache zu singen weiß und sich dessen auch nicht schämt. Gäbe es in Österreich eine Kaffeehaus-Kultur, wie sie vor 1938 noch existierte, gäbe es noch den Einfluss des vergangenen Vielvölker-Reichs, der sogar bis in den Dolfußschen-Ständestaat hineinreichte, würden sich möglicherweise nicht so viele Menschen vor der Multikultur fürchten, ihr historisches Kollektiv-Bewusstsein würde nicht nur bis zur Machtübernahme der Nazis reichen und dementsprechend wenige würden deshalb die Politik der Rechtspopulisten als etwas Authentisches, Ursprüngliches sehen. Und man wäre dankbar, dass es so etwas wie türkischen Folklore-Schlager in Frühe über den Marktplatz schwebt.

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