Montag, 29. Oktober 2007

Und ewig tönt der Schleudergang

Da ich zur Minderheit der nachts Arbeitenden gehöre, habe ich ein entsprechendes Minderheitenproblem: Meine Nachbarn.

Genauer gesagt ist es das Pensionistenehepaar, das über mir wohnt und dem es immer wieder gelingt meinen Schlafrhythmus empfindlich zu stören. Die Ursache erscheint unspektakulär: Da ich dank meiner Arbeit frühestens um 2 Uhr morgens ins Bett komme, hatte ich erst drei Stunden Schlaf, wenn um 5 Uhr morgens über mir die wöchentlichen Sanierungsarbeiten beginnen. Meist wird der Wirbel durch das sanfte surren der Waschmaschine eingeleitet, das in letzter Zeit mit Ende der Nachtruhe (05:30 Uhr) einsetzt und mit Beginn des Schleudergangs endet. Sofern der Mann der eifrigen Waschfrau nicht sein dröhnendes Scharchen hören lässt, ist dieser frühestens ab 6:30 Uhr mit handwerklichen Tätigkeiten beschäftigt. Zugute halten muss ich ihm, dass er sich hörbar Mühe gibt, den Einsatz schweren Geräts kurz zu halten – Doch wenn er, dreimal hintereinander, kurz seinen Schlagbohrer ansetzt und das Gemäuer zum Vibrieren bringt, schlafe ich deshalb auch nicht besser. Begleitet werden die Heimwerkerarbeiten vom ewigen Schleudergang der Waschmaschine, in das immer wieder ein Geräusch einfällt, das sich nach umher geschobenen Möbeln anhört. Außerdem sollte sich einer der beiden angewöhnen, keine Stöckelschuhe bei der Hausarbeit zu tragen.
Sofern der Arbeitslärm nicht mehr von der Decke hallt, ist es meist früher Nachmittag und mein Kopf fühlt sich wie weich gekauter Kaugummi an, in dem ein paar schwere Eisennieten stecken. Natürlich habe ich zu diesem Zeitpunkt längst aufgegeben noch einmal einzuschlafen. Einerseits hält mich die Wut wach, andererseits werden die morgendlichen Hausarbeiten meiner Nachbarn gerne von den nie endenden Bauarbeiten in den Straßen meines Stadtbezirks ergänzt und abgelöst.

Da ein hoch intelligenter, intensiv denkender Mensch mindestens 12 Stunden Schlaf – vor allem in der REM-Phase – benötigt, um überhaupt atmen zu können (vor allem wenn er nocht studiert), brauche ich mindestens 5 davon. Auch wenn keine REM-Schlafphase so lange dauert, das Gehirn benötigt eine gewisse Vorbereitungszeit für die tiefsten aller Schlafmomente.
Diese Zeit bekommt mein Gehirn schon seit einem Jahr nicht mehr und das geht langsam auf seine Substanz, was auch daran liegen mag, dass meine übrigen Körperregionen ebenfalls eine gewisse Vorbereitungszeit benötigen, um nach Dienstschluss um ca. 00:30 Uhr, überhaupt bereit für den Schlaf zu sein. Der Magen will Essen, die Zunge den entsprechenden Genuss dabei nicht säumen, die Lippen wollen die Geliebte küssen, die Lenden sind zum Glück schon zu müde und bevorzugen es sich mitsamt dem Hintern auf die Couch zu setzten, während das Spaßorgan sich noch ein wenig die Wiederholungen dämlicher Komödie-Shows ansehen will, wofür die Augen ein geduldiges Maß an Verständnis zeigen. Das Gehirn selbst will zu diesem Zeitpunkt einen Drink und die zittrigen Hände sind sogar noch bereit einen solchen herzurichten.
Kurz gesagt: Natürlich bin ich teilweise selbst schuld, wenn die Nachbarn ihre häusliche Arbeitswut zum selben Zeitpunkt anfangen lassen, zu dem ich endlich bereit fürs Bett bin. Aber man fragt sich dennoch, ob so ein Pensionisten-Ehepaar nicht vielleicht unterbeschäftigt ist, wenn neben den vormittäglichen, täglichen Waschgängen, von Morgens bis frühen Nachmittag jede Woche die halbe Wohnung umgebaut zu werden scheint.

Wenn man die akustische Belästigung durch ihre Dialoge mitrechnet, so endet der Terror niemals. Dank der Luftschächte in Bad und Toilette und der Tatsache, dass diverse Streitgespräche der beiden, durch die Klotüre bzw. aus der Badewanne heraus, begangen werden, bleiben ich und meine Lebens- und Leidensgenossin vor beinahe gar nichts verschont. Zum Glück versteht man nicht alles. Aber der leicht aggressive Unterton der derben Sprechweise, sorgt für eine unangenehme Sounduntermalung unserer Wohnatmosphäre.
Stellen sie sich vor, sie sitzen, mit Grieg und Träumen von nebelschwangeren, sanften Waldlichtungen, entspannt in einem heißen Bad und durch den Luftschacht mischen sich Laute hinzu, die an freitagabendliche Würstelbudenkonversation erinnern:
„Wüst a Hülsen dazua?“
„Jô! Gimma a Sechzehnablech! Und host no an Senf?“
„Is lâida scho âus.“
„So a Schaß! Macht nix.“ [1]

Auch ist es störend, wenn Gespräche dieser Art von oben dröhnen, während man gerade (allein oder zu zweit) mit einem sexuellen Liebesakt beschäftigt ist und sich gerade tiefster Leidenschaft hingeben möchte. Zumindest ich finde das stets irritierend, vor allem, wenn der Sinngehalt der Gespräche einem verborgen bleibt. Welcher gesund denkende Mensch verbringt einen Großteil seiner Tageszeit damit, sich über die Beschaffenheit von Küchenrollen, dem noch besseren Auftragen von Allzweck- und Möbelreinigern, dem hinterlistigen Verhalten von Staubpartikel oder der Unvollständigkeit bzw. Verbesserungswürde von Einkaufslisten auszutauschen? Pensionisten-Ehepaare vielleicht oder Menschen, die das Sehen von Fernseh-Reklame zu ihrer Freizeitbeschäftigung zählen.



[1] Übersetzung: Willst du eine Hülse (Dosenbier) dazu? - Ja! Gib mir ein Sechzehnerblech (Bier einer Brauerei aus dem 16. Gemeindebezirk in Wien). Und hast du noch einen Senf? – Ist leider schon aus. – So ein Schaß! Macht nix.

Samstag, 27. Oktober 2007

Don’t touch a running System



Ich lese oftmals in den Politik-Teilen diverser Zeitungen[1], es würden 2 Schritte nach vorne und 3 wieder zurückgegangen werden. Die Zahlen variieren dabei, der Sinn der Aussage ist allerdings immer derselbe und für mich keinesfalls ermesslich. Immerhin würde dieses Bewegungsschema bedeuten, dass man sich wenigstens zurück bewegt.
Ich sehe vielmehr, in der Detailansicht unserer Welt-Gesellschaft, dass durchaus ein paar Schritte nach vorne gemacht werden - Meist im technologischer Sektor. Gelegentlich passieren Bewegungen aber auch im sozialpolitischen Denken, seltener noch im Handeln.
Im Großen und Ganzen des politischen Bühnengeschehens aber, geht man 2 Schritt vor und 2 Schritte zurück. Da werden Reformen von einer Regierung erlassen und von der nächsten wieder gegenreformiert und in ganz EUsien tauschen linke und rechte Regierungschefs die Stühle.
Bewegung? Nein, vielmehr Symptom-Bekämpfung im Einzelnen. Und meinen die so genannten Konservativen, ihrem Namen Ehre zu machen, kann man ihnen die Frage stellen, ob sie nicht bemerkt haben, dass sich die Umsetzbarkeit von Werten in jedem Jahrzehnt ändert, und somit auch die Werte selbst, die sie stets aufs Neue und auf Ewig zu bewahren suchen.
Das was gleich bleibend ist und somit zu ihrem Erfolg gereicht, ist das System an sich, in dem alles an gesellschaftlichen Werten gleich bleibend sein sollte, obwohl dies nicht möglich ist, und bloß die Wirtschaft das Privileg genießt, einen inneren Fortschritt zur Gewinnmaximierung zu erfahren. So war vor 2000 Jahren, so ist es heute noch: Der Mensch wird seinesgleichen Untergeordnet, die er genauer als Akteure der Wirtschaft verstehen muss.
Gesellschaftliche Wertvorstellungen und deren Umsetzung in soziale Praxis, müssen sich nicht entwickeln, solange die Wirtschaft und ihre Akteure nicht davon profitierten bzw. es sich nicht mehr vermeiden lässt. Dieses System funktioniert bereits lange genug, um nicht gut funktionieren zu müssen. Der Mensch, in seiner Trägheit, wählt das erstbeste Programm, welches einigermaßen einfach zu entwickeln ist und – wenigstens für Einige – ausreichend wirksam läuft. „Don’t touch a running System“ ist das Credo, das sich in der Gesamtheit der clobalen, menschlichen Vielstimmigkeit, zusammensetzt. Mein weiß ja nie, was geschehen könnte.

[1] Nein, Quellen werde ich hier sicher nicht auflisten.

Sonntag, 21. Oktober 2007

Der Schwachsinn

Schwach ausgeprägten Sinn stiften zuweilen hohe Beamte des Staates, wenn sie im politischen Diskurs, gar während einer Sitzung des Parlaments, unzureichend Argumentieren.
Die Argumente des Gegners werden ohne Weiteres als Schwachsinn, Gemeinheit, Verrat oder Inkompetenz verklärt, man scherzt auf Kosten des Anderen, man verhöhnt, polemisiert ohne Witz und witzelt ohne Intelligenz. Diskussionen werden nicht über Themen-Inhalte geführt, sondern über Themen-Werte, über die wie auf einem Viehmarkt, lauthals plärrend, verhandelt wird. Die Waren beinhalten politische Entscheidungen, die Währung ist des Wählers Gunst.
Mit derben Sprüchen wird feilgeboten, was uns allen gehört. Wie in der Werbung wird gelogen, wie auf dem Schlachtfeld des Weltmarktes wird überboten, überschwemmt und übertrieben, worüber geurteilt werden müsste.
Man findet es nicht unschicklich, in seinen Reden zu übertreiben und zu verzerren, bis das Gesagte gerade noch keine nachweisbare Lüge oder Beleidigung formt, jedoch auch nicht mehr als Wahrheit oder Anstand zu erkennen ist.
Ein Balanceakt zwischen der Klage wegen Beleidigung und dem rhetorischen Faustballen, das den Schlag gegen den Wählerverstand übt. Ein Balanceakt der die gesamte Aufmerksamkeit des Sprechers fordert, sodass keine Kraft mehr da ist, für Inhalte und Ideen. Inhaltslose Geschwätzigkeit und gehaltvolle Rechthaberei, die keine Bewertung mehr benötigt, beherrschen einen faulen Prozess politischer Entscheidungsfindung in diesem Land.
Politiker, die sie sich einer solchen Redeweise bedienen, versuchen nicht nur Personen zu gefallen, die auf solchem Niveau denken, kommunizieren und handeln. Sie erhalten und fördern zugleich ein zu geringes Niveau im Bereich politischen Denkens, Kommunizierens und Handelns.Man muss sich fragen, wie weit ein Land mit einer solchen Elite von Parolenklopfern kommen kann. Die Stimme des Intellekts ist leise, sprach Sigmund Freud und floh jäh vor dem Regime der Hohlköpfe. Ich aber kann nicht entkommen, weil das Gelabere, das von oben schallt, von unten reflektiert und tausendfach zurückgeworfen wird.
Wenn das politische System sich zwar geändert hat, aber das intellektuelle und kulturelle Niveau, seit 100 Jahren, von Veränderung nichts wissen will, gilt dann nicht zu befürchten, dass das System nur an der Oberfläche besteht, die jederzeit aufplatzen kann, um die grauenvollen Mutationen austreten und wuchern zu lassen, die sich darunter verbergen?
Zuweilen fürchte ich, dass sich ausschließlich die Rahmenbedienungen geändert und eine demokratische Republik ermöglicht haben, während der politische Wille im Großen immer noch die Macht des Egos über den Sinn der Gemeinschaft stellt. Zwar wird mit den Mitteln gearbeitet, welche die Rahmenbedingungen gewähren, doch auch wo ein schlechter Wille ist, ist ein Weg.
Sind die mahnenden Vergleiche mit der Zeit des Regimes so unpassend, wenn man befürchten muss, dass ausschließlich die rechtlichen Möglichkeiten seiner Wiederkehr auf beinahe Null reduziert wurden, nicht aber die Kräfte, welche ein solches Regime ernähren?

Sonntag, 14. Oktober 2007

Echte Menschen

Verkehrt ist eine Welt, in der die erfundenen Grenzen von den Fahnen in die Gesichter der Menschen geschrieben, echten Menschen aber, in Schweigen und Schatten verdrängt werden.

In einer solchen Welt leben wir, in der hohler Glanz und Eitelkeiten zum sichtbaren Götzen unserer Selbstverherrlichung werden. Der Mensch: Die Zierde der Schöpfung.
Armut und Not unter den echten Menschen aber, werden nur dann sichtbar gemacht, wenn sie weit genug entfernt sind, sodass man klagen kann, ohne sich selbst im Leidenden zu erkennen.Die echten Menschen im Leid, werden zu verzerrtem Beiwerk der Reichen und Edlen, in dem sich ihre Glorie erhöht zeigen kann. Sie soll gemahnen, den Weg des Selbstzwecks und des äußeren Scheins zu folgen, um nicht als elendes Beiwerk zu enden.

Demut ist keine Verstümmelung des eigenen Willens, vielmehr gibt sie uns den Blick frei, der, außerhalb von Überheblichkeit und Arroganz, auf die Dinge fällt.

Keine Waffen, sondern echte Menschen sind es, die echte Menschen töten.
Keine Gesetze, sondern Menschen, vertreiben Menschen.
Keine Ideologien, sondern echte Menschen, lieben Menschen.

Freitag, 12. Oktober 2007

Rechthaberei in den blinden Augen der Justitia

In der Sondersitzung, die am 10. Oktober vom Parlament getätigt wurde, herrschte der normale Wahnsinn solcher Veranstaltungen. Es wurde viel und gereizt gesprochen, die Redezeiten bis über das Erlaubte hinaus ausgedehnt, sodass Alexander Zach, als letzter Redner, nur noch eine Minute Rest-Redezeit zur Verfügung hatte. Was doppelt schade war, denn der Bundessprecher des Liberalen Forums (Klub SP) brachte erstens eine der seltenen Reden, die mir vernünftig erschienen, zweitens waren viele Abgeordnete gegen Ende der Sitzung nicht mehr bei der Sache – oder anwesend – um diesem Restverstand im Parlament zu lauschen. Das gerade Zachs Äußerungen, dem strapazierten Zuhörer-Gehirn und der arg belasteten politischen Seele, Erfrischung brachten, lag sicher nicht an der notgedrungenen Kürze seiner Rede. Seine Hinwendung zu den Menschenrechten, war, obwohl es banal erscheinen mag, ein Lichtblick. Viel erhellender wurde der Fall, nach dieser Sondersitzung, einfach nicht.
Auch die Ansprachen von Darabos und Hlavac (SPÖ) enthielten die Bemühungen, die gesamte Diskussion in eine konstruktive Richtung zu führen, auch wenn sich über einzelne Inhalte streiten lässt. Immerhin: Gerade diese Möglichkeit der An- und Begreifbarkeit von Argumenten, gehörte zu den rhetorischen Höhen des politischen Afterlunchs. Man könnte zwar glauben es sei das Mindeste, dass wir verstehen, was man uns, weshalb und wie, zu sagen beabsichtigt. In dieser Sondersitzung war Verständlichkeit, bei eingeschaltetem Intellekt, jedoch das Äußerste das man erwarten konnte.

Ich könnte detaillierte Aussagen der Sondersitzung einschieben, um den Unterhaltungswert meines Schreibens - und ab und an die Gänsehaut der Leser - zu steigern. Zusammenfassend sei gesagt: Die Grünen sind über die gesamte Fremdenpolitik sehr verärgert, vor allem aber über die SPÖ, die das Fremdenrechtspaket 2005 ermöglichten, was diese wiederum als irrelevant darstellen, da der Fall Arigona Zogajs und ihrer Familie, davon nicht betroffen sei. Die SPÖ erwähnte bei jeder Gelegenheit den fehlenden Asyl-Gerichtshof, den man ihnen, für die Unterstützung des erwähnten Fremdenrechtspaketes, versprochen hatte und plädiert für Menschlichkeit angesichts der Fremdenrechtslage (nicht wörtlich, jedoch sinngemäß).
Die ÖVP konnte nur wenig zum eigentlich Fall sagen, da sie alle Münder voll zutun hatte, ihren Innenminister Platter zu verteidigen, gegen den die Grünen ihren Misstrauensantrag gestellt hatten. BZÖ und FPÖ wiesen auf alle erdenklichen Straftaten irgendwelcher Asylwerber und auf die illegale Einreise der Zogajs hin. Zudem erinnerten sie daran, dass Härte gegen Asylschwindler sein müsse und dass ohnehin alle nach Österreich gelangenden Asylwerber, die Republik auf illegale weise betreten, da sie, laut Flüchtlingskonvention, eigentlich im ihnen am nächsten liegenden, sicheren Land ihren Antrag stellen müssten, was aus geografischer Sicht unmöglich unser Land sein könne. Man lies auch die Meinung wage durchscheinen, dass jeder Asylwerber, der auf illegale Weise nach Österreich gelange, ein Asylschwindler sei. Damit ist die Sache klar und ein viel sagendes Verhalten legte Alexander Van der Bellen an den Tag, der H.C Strache bereits zu ignorieren begann, bevor der überhaupt ans Rednerpult durfte – seine Zwischenrufe hatten dem Grünen-Chef bereits genügt.

Worum ging es?
Die Grünen forderten, im Lichte der medialen Aufmerksamkeit, Amnestie für jene bereits abgeschobenen und von der Abschiebung bedrohten Asylwerber, die sich bereits länger in Österreich aufhalten und als integriert gelten.
Dem geltenden Recht nach, gibt es keine Verpflichtung der zuständigen Behörden, diesem Vorschlag nachzukommen, weshalb sich vor allem ÖVP, BZÖ und FPÖ in der Sondersitzung auf folgende, grundlegende Aussage verließen: Gesetz ist Gesetz.
Dieser nichts sagende Satz, beherrscht in verschiedenen Variationen den Volksglauben. Im Prozess der Nationalratssitzung wurde er zum Manifest des nationalen, völkischen Lagers.
Die Abgeordneten der SPÖ vergaßen nicht, auf den notwendigen Mittelweg zwischen Gesetzestreue und Menschlichkeit hinzuweisen. Aber genau da liegt das Problem, dass sich allein durch die Aufforderung, im Antlitz human-problematischer Regelungen willkürlich Gnade anzuordnen, nicht lösen wird. Das äußerten die Grünen zwar, machten sich durch ihre emotional aufgeregten Reden jedoch leicht angreifbar, für die Gegenargumente der Kontrahenten.

Gesetze müssen hinterfragt werden. Wer hat sie, warum und wie zur rechtlichen Realität werden lassen? Im Fremdenrechtspaket 2005 sind die Interessen einer Regierung gewahrt, die durch die Beteiligung einer rechtspopulistischen Partei – aus der später Zwei wurden – international, wie national, umstritten war. Welche negative Einstellung gegenüber Immigranten, aus ärmeren Regionen der Erde, diese umstrittene Regierung an den Tag legte, ist bekannt. Wenigstens die Umsetzung des Pakets, erschien formell und bürokratisch korrekt.
Die Verantwortlichen für die Situation der abgeschobenen Asylwerber haben das Recht auf ihrer Seite. Aber haben sie auch Recht, wenn sich ihre Entscheidungen - angesichts der realen, menschlichen Konsequenzen - ausschließlich durch ihre selbst gemachte Rechtslage verteidigen lassen? Genau diese Frage konnte in der Sondersitzung nicht einmal konkret gestellt werden, was nicht nur daran lag, dass Politiker häufig allergisch gegen Selbstkritik sind (was nun mal eine Berufskrankheit ist).
Exemplarisch für alle anderen ÖVP-Abgeordneten hatte Ex-Kanzler Schüssel, der seinen Innenminister herzlich lobte, da dieser sich an seine – also Schüssels – Gesetze hielt, gezeigt, dass er sich eine Position am rechten Rand erlauben kann, ohne dabei sein Make Up des bürgerlichen Hausverstandes zu verwischen. Auch wenn sich seine Partei selbst nicht mehr als christlich bezeichnet: Bei dieser Form der Austro-Christlichkeit würde sich Jesus im Felsengrab wälzen, wäre er nicht auferstanden und gen Himmel gefahren.

Worauf will ich hinaus?
Justitia ist blind. Sie benötigt menschliche Augen um zu erkennen was sie bewirkt. Wir sollten daher bedenken, ob Familien, wie die Zogajs, aufgrund der Methoden ihres illegalen Grenzübertrittes beurteilt werden sollten.

Die rechten Randgruppen glauben, dass diese Methoden und die verbotene Einreisen an sich, den Schlepperbanden als Bestätigung ihres Handels gelten würden, worauf noch mehr Menschen nach Österreich einwandern könnten. Diese spekulative Überlegung ist jedoch irrelevant, da die zukünftigen Hilfesuchenden, genauso wenig wie die Gegenwärtigen, nicht den Verbrechern gleich verurteilt werden können, denen sie in ihrer Not ausgeliefert sind und waren. Vielmehr sollten wir ihre Situation, ihrer Not nach, beurteilen und hierbei frage ich mich, ob das notwendigerweise akzeptierte Mindestmaß an Flüchtlingskonvention genügt. Ein Mensch muss nicht unbedingt von Krieg oder Tod bedroht sein, um sich in einer Notsituation zu befinden. Was ist falsch daran Wirtschaftsflüchtlinge bei sich aufzunehmen? Das einzige was dagegenspricht, ist ein Gesetz, dass von Politikern verabschiedet wurde, die in dieser Sache nicht unvoreingenommen wie die blinde Justitia waren. Sie hatten die Möglichkeit, ihre persönliche, ihre menschliche Sicht auf die Asylwerber in Notsituationen, in das Gesetz einfließen zu lassen. Was spricht also dagegen, wenn dieses Gesetz aus menschlicher Sicht all jener verbessert wird, die keine voreingenommene Meinung von Asylwerbern haben? Ohne Vorurteil nämlich, kann man sich die vernünftige Frage stellen, ob das Bleiben – vielleicht sogar die Einbürgerung – integrierter, kinderreicher Familien, wie der Zogajs, Österreich in irgendeiner Weise schadet. Mein Eindruck ist vielmehr der, dass das Land von solchen Familien profitieren kann. Weniger profitabel erscheint es mir, sie mit einem Kerosin verschleudernden Flugzeug und erhöhtem Beamteneinsatz außer Landes zu schaffen.

Von Arigona Zogaj haben wir bereits profitiert. Sie hat uns unsere politische Wachheit wieder gebracht.

Dienstag, 9. Oktober 2007

Arigona hat "Balls" - die den PolitikerInnen zuweilen fehlen

Zum Fall Arigona Zogaj lässt sich wirklich viel und ausführlich schreiben, denn das Schicksal ihrer Familie steht für ein tieferes Problem der österreichischen Gesellschaft. Das Beispiel hingegen, dass dieses Mädchen individuell, aus ihrer Situation heraus, gibt, ist jedoch einzigartig – in seiner Wirkung, nicht unbedingt in seinem Handeln. Es gilt zu vermuten, dass Asylhäftlinge, in den jeweils existenziellen Krisen, die ihnen das so genannte Fremdenrecht beschert (der Name suggeriert fälschlicherweise, dass der Staat Österreich Fremden irgendwelche Rechte gewährt), ebenfalls abenteuerliche Aktionen setzten, um die Aufmerksamkeit der Zivilbevölkerung, auf ihr Schicksal zu lenken. Über solche Fälle erfährt man jedoch nur selten.
Arigona Zogaj setzt, ihrer vermutlichen Verzweiflung, Mut entgegen, setzt ihr Wissen ein, wahrscheinlich ebenso ihre guten Kontakte zu Freunden und Bekannten, um zunächst der drohenden Abschiebung zu entgehen, dann – per Brief und Videobotschaft – die Wahrnehmung der Öffentlichkeit, für ihrer Situation und damit der Situation vieler, von der Abschiebung bedrohter Familien, wach zu rütteln. Hier ist es an der Zeit Dank auszuschreiben – an Arigona einerseits, aber auch an ihre heimlichen und öffentlich Solidarität demonstrierenden Helfer.

Denn so sollte sich eine republikanisch demokratische Zivilbevölkerung, angesichts offensichtlicher Ungerechtigkeit, verhalten; so wie dieses 15jährige Mädchen, das aus einem Land stammt, in dem es an allem mangelt, was Herr und Frau Österreich, scheinbar im Überfluss, gleichsam als überflüssig betrachten, weil sie sich darüber keine Gedanken mehr machen müssen: Menschenwürde und Menschenrechte.

Seien Sie doch ehrlich: Womit haben Sie sich im Alter von 15 Jahren beschäftig? Haben wir damals nicht chemische Waffen im Krieg gegen unsere Mitesser geführt, während sie nicht wussten, was wir zu unserer ersten Party anziehen sollten, auf der das Mädchen/ der Junge unserer frühesten, romantischen Träume wartete. Haben wir uns nicht mit allerlei Unsinn befasst, auf die Schule geschimpft, den Alkohol noch lustig gefunden, das wirkliche Leben mit erschreckender Echtheit auf uns zukommen sehen?

Arigona dürfte sich wohl nichts sehnlicher wünschen, als in Österreich weiterhin zur Schule gehen zu dürfen und das wirkliche Leben nähert nicht in absehbarer Ferne. Das wirkliche Leben schlug bereits, wenn ich so schreiben darf, recht erbarmungslos zu. Aber vielleicht ist es unter anderem der Neid so mancher Landsleute, die das Mädchen, nun erst recht, gerne abgeschoben sehen würde. Von Erpressung ist die Rede, Verhöhnung des Rechtstaates wird als Vorwurf geäußert und noch Schlimmeres, meist begründet auf Unwissendheit und Ignoranz. Viele der Schmähredner und Polemik-Schreibern, die kein Problem, mit der unvernünftigen, grundlosen Gnadenlosigkeit gegen Familie Zogaj, haben, dürften sich weder mit 15, noch in ihrem übrigen Leben, sonderlich nennenswerten Abenteurern gewidmet haben. Doch Arigona macht Politik und setzt Taten, welcherart man unter den meisten „professionellen“ Parlamentariern vergeblich sucht.
Natürlich setzt sie sich für die eigenen Anliegen ein, doch welcher politische Mensch macht es anders - sollte es anders machen können? Sich für die Menschenwürde und –Rechte zu engagieren, indem man seine eigene Würde und Rechte verteidigt, kann nicht falsch sein. Doch ist es vermutlich eine Krankheit unserer Tage, dass dies von manchen als Schmähung angesehen wird. Viele meiner Landsleute ducken sich, selbst wenn ihre eigenen Rechte, oder zumindest die sie betreffende Gerechtigkeit, in Gefahr gerät – auch dann, wenn sie die offizielle Erlaubnis haben, sich zu wehren.

Gäbe es doch mehr Arigonas in diesem Land, die seinem politisch trägen Hintern, ordentliche Tritte verpassten. Das Mädel könnte, sollte doch noch alles gut werden, eine großartige Politikerin werde. Vielleicht sogar eine Poltikerin die man, ohne unangenehme Bedenken, wählen könnte, weil sie, im Gegensatz zu den meisten Tatsächlichen, "Balls" hat.

achtrag: In der unmenschlichen, weil gnadenlosen, Denkweise mancher Fürsprecher der Abschiebung, findet sich ein vorgeschobener Pragmatismus, der Folgendes zu bedenken gäbe, wenn man sich seiner bediente:
Hätte man die Möglichkeit, zum Wohle der Republik – das als Vorwand der gegenwärtigen Fremdenpolitik gilt – Menschen abzuschieben, so wäre es ratsam sich Anderer, als der betroffenen „Fremden“, zu entledigen. Das Wohl der Republik braucht keine Personen, die bereit sind, ihres (Selbst-)Hasses wegen, ihnen fremde Menschen ins Unglück zu stürzen. Nach der angegeben Denkweise, wäre es also logisch, diese Personen der unvernünftigen Unmenschlichkeit, abzuschieben, statt jene loszuwerden, die, wie Arigona, bereit sind, für ihr Glück, ihre Würde und Gerechtigkeit zu kämpfen.
Zum Glück hat die Denkweise diverser Rechtpopulisten keine Logik und ist auch nicht der Nachahmung würdig – auch wenn die letzte Regierung, inklusive Opposition, das anders sah. Zum Glück, würde ein vernünftiger Mensch eher heilen, als amputieren und zum Glück haben Menschen, die Mitgefühl für Arigonas LeidensgenossInnen empfinden, auch Mitleid, mit den Angst- und Hasserfüllten dieser Nation.