Montag, 24. September 2007

Krawatten und Kreuzverhör

Der Eurozentrismus in der Wissenschaft hat eine lange Geschichte und in der Politik eine uralte Tradition, die gut gepflegt wird. Selbstverständlich ist keinem/keiner Europäer/In übel zu nehmen, wenn er/sie die Welt aus europäischer Sicht betrachtet – oder dies zumindest vermeint. Kaum vorstellbar, dass ein sterblicher Mensch mir verraten könnte, was die Europäische Welt-Sicht sei, ohne dass einer solchen Erklärung eine deftige Unvollständigkeit zugeschrieben werden müsste. Sicht, wie auch Wert, mit der Zuschreibung des Europäischen, wird, in ihrer öffentlichen Deklaration, immer ein Vielfaches an Gegenmeinungen provozieren, solange die freie Meinungsäußerung – und deren Grundlagen – vorhanden sind.

Dennoch neigt die Gesellschaft der Europäer, im Zuge der gegenwärtigen Entwicklung, sich mit der Unvollständigkeit von Behauptungen zufrieden zu geben, wenn es darum geht, sich selbst hinters Licht zu führen und dort, wenn möglich, zu erschießen.

Es wird, in den Diskussionen unvollständiger Behauptungen, gerne über europäische Sichtweisen und Werte gesprochen, wobei keine/r der Beteiligten diese benennen kann oder – und das ist besonders seltsam – dazu aufgefordert wird (zu sagen was er/sie eigentlich sagen möchte).
Zu diesen Werten, die repräsentativ für Europa sein sollen, kann ich nur schreiben, dass sie sich erst in den letzten 50 Jahren – in Österreich – effektiv zu manifestieren begannen. Ebenso ist unser Lieblingsfeind, der radikal-islamistisch grundierte Terrorismus eine Entwicklung dieser Zeit. Warum die europäische, christliche Geschichte als Argumentations-Basis, für die Legitimation der Ausgrenzung von Migranten aus dem Osten und gegen die Aufrechterhaltung der Errungenschaften der Zweiten Republik Österreich, verwendet werden kann, ohne dass irgendjemand widerspricht, kann ich nicht begreifen.

Die Geschichte des christlichen Abendlandes hat Individuen hervorgebracht, die, gegen ihren Zeitgeist, diverse, auch gesellschaftspolitisch relevante Ideen schufen. Die meisten davon konnten erst im letzten Jahrhundert verwirklicht werden, während die vorhergehende Zeit vor allem eine Segens-Epoche der Kriegstechnologie und ihrem Experimentierfeld, des Menschen seelische und körperliche Eingeweide, war.
In dieser glorreichen Geschichte, deren geistiger Humus bei den Griechen der Antike eingetopft wurde - obwohl diese das europäische Hinterland als Barbaren-Provinz ansahen und sich lieber mit den Ägyptern unterhielten - fehlt es auch nicht an muslimischen Kultureinfluss. Die nicht unwesentliche Muttererde des allseits beliebten Mathematik-Unterrichts, das Dezimalsystem der Inder, verdanken wir den Arabern, welche sich, im Gegensatz zu den Europäern, einst bemüht hatten, die Weisheiten des Altertums, die wir stolz als europäisches Gut betrachten, zu studieren und erhalten.
Die europäische, vor allem österreichische Gegenwart, verdanken wir, zu einem wesentlichen Teil, dem Wiederaufbau-Programm der Alliierten des Zweiten Weltkrieges, allen voran der USA. Der letzte Kaiser und seine „Sissi“ haben hierzu wenig beigetragen.

H.C Strache hatte in der ORF Pressestunde dennoch von der christlich geprägten, europäischen Geschichte gesprochen, auf die jene Werte beruhen, welche wir „haben“ sollen. Mehr muss dieser Tage von einem Rechtspopulisten auch nicht gesagt werden, als „Christliches Abendland“ und „wir haben Werte (Punkt – und Nichts weiter)“. Kein Mensch würde nachfragen, was er damit meint.
Zugeben muss ich, dass die Beteiligten, dieser unlängst stattgefundenen Pressestunde, interessante, wohl nobel-gestaltete Krawatten trugen. Inhaltlich wirkte das Spektakel jedoch wie ein Kreuzverhör ohne fundierte Anklage. Strache konnte sagen was er will, seine Interviewer hielten ihm nur die üblichen Vorwürfe, in all zu offensichtlicher, journalistischer Verpackung unter die Nase - Er musste nur niesen. Letztlich lässt sich dieses Interview auf folgenden Dialog reduzieren: „Herr Parteivorsitzender: Sind sie ein rechtsradikales Arscherl?“ – „Nein. Ich bin der Retter der Nation.“

Enttäuschend, nicht wahr?
Es gibt keine Kultur-Gesellschaft, sofern sie nicht unter Tyrannei und Diktatur leidet, die keine sozialen Werte, kein soziales System der Solidarität kennt.
Trotzdem: Es genügt Einer der sagt, dass wir, dank der christlichen, konservierten Kultur, Werte hätten und schon herrscht Stillstand, herrscht schweigsamer Zuspruch zum eurozentristischen Urteil gegen das Fremde. Obwohl die Kultur der Republik eine Wertekultur der vereinten Minderheiten ist und jede Konstruktion einer Mehrheits-Gesellschaft, der Versuch, einen Teil derselben, für den egoistischen Machtgewinn, zu entwerten und entrechten.

Der Ausspruch „Wir haben Werte.“ genügt um selbige zu untergraben – weil keiner widerspricht oder nachfragt und sich jeder mit Unvollständigkeiten begnügt.

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